WV I-02 Kind II
WV I-03 Geschwister
WV I-06 Sinnender Junge
WV I-13 Waldspaziergang
WV I-16 Förderbrücke
NV I-15 Köpfe
II-001 Köpfe
II-005 Rummelplatz
II-019 Dorfstraße
II-026 Nach der Sitzung
II-036 Heftige Debatte *
II-041 Rügen '74 (terra mater) *
II-046 Trauernder Eros *
II-048 Wegzeichen
II-051 Kleine terra mater
II-053 Spanien '75 *
II-054 Schwerer Anfang
II-056 Nowgorod
II-058 Gipsbruch im Harz *
II-059 Tagebau Nachten
(2 Varianten: Radierung, Radierung und Aquatinta)
II-160 Im Gebirge
II-072 Fossile Braunkohle *
II-073 Hochkippe am Tagebausee
II-074 Alte Zähne im Tagebau
II-089 Amaryllis
(2 Varianten: Radierung, Radierung und Aquatinta)
II-096 Schwellen im Tagebau
II-097 Erschöpft
(Abbildung in diesem Beitrag)
II-098 Rast
II-100 Fragmente *
(Zusammendruck 2 Platten)
II-109 Finken / Röbel
II-114 Am Feldrain *
(2 Varianten: Radierung, Radierung und Aquatinta)
II-130 Vaters Uhr – 6 Steine *
II-155 Burgk I (Dachboden) *
II-158 Frühling mit A.D. *
II-165 Windungen *
(2 Varianten: Radierung, Radierung und Aquatinta)
II-169 Vita III (nach Mantegna)
II-198 Stilleben mit Blüte
II-197 Herbststilleben
(2 Varianten: Radierung, Radierung und Aquatinta)
II-201 Ausgedient I *
II-206 Ausgedient II
II-221 Feldstraße
II-241 Große Klette
II-299 Auffahrt zum Schloß
Aus der Folge Lausitzer Landschaften I - IV
II-252 Heller Morgen *
II-256 Gemäuer *
II-262 Sonne im Park *
Aus der Folge „Alles verfault, was ohne Wurzeln ist.“ (Jewgeni Jewtuschenko)
II-270 Lichtung
II-271 Grabmal
II-272 Obelisk
II-273 Weidentorsi
II-276 Dorf
II-278 Feldweg
II-279 Straßenbäume
II-280 Viehweide
11 Arbeiten der Folge „... und die Erde wird lange feststeh’n und aufblüh’n im Lenz.“ (Gustav Mahler)
II-286 Alter Obstgarten
II-288 Üppiger Wuchs *
II-289 Torsi im Stadtpark *
II-291 Villa im Bärenklau *
II-292 Bergstraße *
II-293 Parkwege
II-294 Parkmauer *
II-295 Tümpel *
II-296 Schloßpark *
II-297 Verlassenes Gehöft *
II-300 Bäume am Feldrand *
Aus der Folge Gleichnisse
II-188 Gleichnis I *
II-304 Herbstlicht *
Tiefdrucke, nicht im Werkverzeichnis
Köpfe – Radierung (1965 / 1966) [nicht im WV]
Köpfe – Radierung (1965 / 1966) [nicht im WV]
Gerburg – Kaltnadel (1965) [nicht im WV]
Gerburg II – Kaltnadel (1966) [nicht im WV]
III-001 Gehöft im Wald
III-005 Bahnhof Groß Särchen
III-010 Zerstörtes Kircheninneres
III-051 Graphische Übung (Finken)
III-053 Hangaufwärts
III-085 Schloß Burgk II
III-136 Verlassene Braunkohlegrube
III-137 Förderkran, Nochten
Handzeichungen, nicht im Werkverzeichnis
Ekkehard – Zeichnung, Kreide schwarz (1959) [nicht im WV]
Brikettfabrik Knappenrode – Zeichnung, Graphit, Kohle (1961) [nicht im WV]
Sorbisches Dorf – Zeichnung, Kreide schwarz (1961) [nicht im WV]
Bahnübergang Knappenrode – Zeichnung, Kreide schwarz (1964) [nicht im WV]
Hoyerswerda – Zeichnung, Kreide schwarz (1964) [nicht im WV]
Hoyerswerda – Zeichnung, Kreide schwarz (1964) [nicht im WV]
Rummelplatz - Knappenrode – Zeichnung, Kugelschreiber, blau (1964) [nicht im WV]
Gerburg – Zeichnung, Bleistift (1964) [nicht im WV]
Braunkohlefabrik Knappenrode – Zeichnung, Kreide schwarz (1965) [nicht im WV]
Finken – Zeichnung, Kugelschreiber blau (1978) [nicht im WV]
Farbige Arbeiten, nicht im Werkverzeichnis
Gartenstilleben in Pankow – Tempera / ÖI auf Pappe (1972) [NV V-46]
Ekkehard – Öl auf Hartfaser (1963) [NV V-20]
Stilleben (Äpfel) – Öl auf Hartfaser [nicht im WV]
[* ins Nachlassverzeichnis Private Künstlernachlässe aufgenommen]
Auszug aus der Laudatio von Astrid Volpert zur Ausstellungseröffnung
am 21. Januar 2017 | Galerie im Neuen Rathaus Templin
Die hier eröffnende vorletzte Station dieser Reise durch Richters Bilderkosmos erfasst sein Früh- bzw. Spätwerk. Dabei spannt sich der Zeitbogen vom Beginn der 1960er Jahre bis 1989, ungefähr ein Jahr vor seinem viel zu frühen Tod im Alter von 64 Jahren. 98 Arbeiten sind im Templiner Rathaus versammelt. Sie werden es bei ersten Blicken die Haupttreppe aufwärts und in den Fluren von zwei Etagen schon bemerkt haben – es handelt sich nicht nur um Drucke, also Radierungen und Lithografien, sondern auch um Handzeichnungen und sogar drei Ölbilder …
Was wir sehen, sind Landschaften, Stillleben und Bildnisse. Manchmal ist es gar nicht so einfach ist, das einzelne Kunststück exakt einer Periode zuzuschreiben. Denn Übergänge sind oft fließend, je nachdem, in welchem Kontext wir die Entwicklung eines Themas bzw. die Struktur des Werks betrachten – kompositionell oder drucktechnisch. Die Einladungskarte kündigt für jede Etappe ein prägnantes Beispiel an. 1974, nach einem Rügen-Aufenthalt, entstand die Radierung „Terra Mater“. Sie gilt als ein Fixpunkt des Richterschen Frühwerks. Der Titel dockt an Geschichte an: In der römischen Mythologie bedeutete dieser Begriff die Personifizierung der Mutter Erde als Göttin. Das klingt nach Pathos, aber gerade das offenbart dieses Blatt nicht. Wir sehen bewegte, natürliche Schönheit und mittendrin ein gebeutelter Mensch, kein Prophet, eher ein Mahner. So gibt der Künstler dem Motiv einer Wind und Wettern trotzenden, zerzausten Gestalt in der Ebene, an der Grenzlinie von Land und Wasser, lebendigen Ausdruck. Die Vibrationen der Kaltnadelstriche formieren konzentrierte, aufrechte Körperhaltung und die Gewissheit: Diese Figur lässt sich im Sturm nicht einfach wegfegen. Nach vorn blickend, zeigt sie offen Gesicht.
Den anderen Pol – das sogenannte Spätwerk – besetzt die nachweisbar letzte druckgrafische Arbeit aus dem Jahr 1989. Auch dieser Radierung / Aquatinta liegt eine Handzeichnung zugrunde und Volkhard Böhm bezeichnet das finale Blatt als Richters Vermächtnis. Das Motiv entpuppt sich als ein Fragment barocker Gartenkulisse: ein sich zwischen der Mauerbegrenzung des Geländes mit schmückenden Amphoren und ruhenden majestätischen Baumgestalten schlängelnder Parkweg. Es gehört zur unmittelbaren Umgebung von Schloss Neschwitz in der Nähe von Bautzen. Der Kunsthistoriker Volkard Böhm berichtet, Richter habe die Druckplatte überätzt und somit einen flauen Abdruck hervorgerufen. Eben dieses Resultat vermochte den melancholischen Gehalt seines Abschiedsblatts zu steigern. „Herbstlicht“. Der sonst eher zu lapidar informierenden Bildtiteln greifende Künstler wählte diesmal die poetische Steigerung, im Bewusstsein des Erreichens des Endpunkts seines grafischen Tuns. Namentlich widmete er das Werk Ingeborg, seiner Begleiterin durch vier Lebensjahrzehnte. Auf noch ein Detail sei verwiesen: Im Unterschied zur „pur landschaftlich“ gehaltenen Vorzeichnung fügte Richter im Druck ein tröstliches Zitat ein: Unten rechts, zwischen zwei Bäumen, lagert ein Paar schlafend auf einer Bank. Es ist Barlachs Figurengruppe von 1912, das „Schlafende Bauernpaar“, auch „Schlafende Vagabunden“ genannt …
„terra mater“ & „Herbstlicht“ – Spät- und Frühwerk
Ausstellung vom 21. Januar bis 15. März 2017
Galerie im Neuen Rathaus | Prenzlauer Allee 7 | 17268 Templin
Laudatio: Astrid Volpert
Musik: Renate Kelletat (Blockflöten)
Gerenot Richter zum 90. Geburtstag | 29.11.2016 | 56 Min. | in der Mediathek des rbb verfügbar bis 29.11.2017
Gerenot Richter galt als Romantiker mit scharfem Verstand, als ein Meister der Radierung und zugleich Meister des Gleichnisses. Die alte deutsche Tradition der Grafik im Sinne Dürers hat er in unsere Zeit gebracht.
Eine Betrachtung von Leben, Werk und Nachlass von Michaela Gericke. Zu Wort kommen außerdem Ingeborg und Ekkehard Richter.
WV I-15 Fischer im Boot
WV I-21 Hafen in Warnemünde
WV I-28 Fischerbastei II
WV I-30 Mühlen bei Lütten Klein
WV I-38 Königshörn Glowe
NV I-22 Am Strom / Warnemünde
NV I-21 Schwanenteich in der Warnow-Werft
Dürers 450. Todestag *
II-076 Melencolia
II-077 Das Meerwunder
II-078 Das große und das kleine Glück
II-075 Der Traum des Podagristen
Strandläufer *
II-061 Strandläufer I
II-062 Strandläufer II
II-063 Strandläufer III
II-064 Strandläufer IV
II-065 Strandläufer V
II-066 Strandläufer VI
II-138 Strandläufer VII
Aus der Folge Rügen '74
II-041 Rügen '74 (terra mater) *
II-042 Rügen '74 (Wissower Ufer)
II-009 Warnowwerft I
II-010 Hafen
II-011 Am Strand
II-012 Werft
II-014 Alter Hafen an der Petrikirche
II-033 Jasmunder Bodden
II-081 Am Bodden – Gerhard Marcks zum 90. Geburtstag *
II-084 Pycnodonta vesicularis *
II-091 Pablo im Darß
II-092 Unter hohem Himmel *
II-094 Funde am Hohen Ufer *
II-095 Die Wolke
II-113 Bojen
II-128 Weg zum Meer
II-137 Landschaft mit Weide
II-139 Badende
II-144 Bodden
II-163 Der Turm
II 175 Torso IV (Strandgut)
II-181 Torso VIII (Strandgut)
II-183 Torso X (Strandgut)
II-188 Gleichnis I *
II-213 D 1500 – Das Meerwunder
II-264 Kleine Landschaft
II-302 Strandläufer
III-019 Bootssteg am Jasmunder Bodden
III-020 Saßnitz
III-033 Felder an der Küste, Putbus
III-042 Warnemünder Leuchttürme
III-063 Die Wolke
III-079 Wismar, Hafen
Handzeichnungen, nicht im Werkverzeichnis
Hafen in Warnemünde – Zeichnung (Feder, schwarz) 1966 [nicht im WV]
Schwanenteich an der Warnow-Werft – Zeichnung (Filzstift) 1966 [nicht im WV]
Mühlen bei Lütten Klein – Zeichnung (Filzstift) 1966 [nicht im WV]
Am Warnemünder Strand – Zeichnung (Feder) 1966 [nicht im WV]
Am Strand Warnemünde – Zeichnung (Feder) 1966 [nicht im WV]
Kleines Dorf / Straße am Hafen – Zeichnung (Bleistift) 1966 [nicht im WV]
Am Strom nahe der Mole – Zeichnung (Filzstift) 1966 [nicht im WV]
Kleine Rostocker Werft – Zeichnung (Feder schwarz) 1966 [nicht im WV]
Kleine Rostocker Werft – Zeichnung (Feder schwarz) 1966 [nicht im WV]
[* ins Nachlassverzeichnis bei Private Künstlernachlässe eingetragem]
Aus der Laudatio von Christina M. Wilsky zur Ausstellungseröffnung
am 23. November 2016 | Galerie 100 in Berlin-Lichtenberg
Ich begrüße alle, die gekommen sind, die Werke Gerenot Richters kennen zu lernen, alle, die seine Bilder wieder und wieder betrachten wollen, die mit mir das Schaffen Gerenot Richters ehren und bewundern. Ich begrüße seine Familie, ehemalige Kolleginnen und Kollegen, ehemalige Studentinnen und Studenten und die vielen Freunde seiner Kunst! Heute öffnet die Galerie 100 ihre Tür für das 4. Kapitel der Ausstellungsreihe, die thematisch gegliedert, das umfangreiche Schaffen des Künstlers und Lehrers Gerenot Richter zeigt!
Ich habe in den Jahren 1975 bis 1979 im Fachbereich Kunst der Humboldt-Universität Berlin studiert, also in einer Zeit, in der Gerenot Richter als Professor dort lehrte. Das Thema dieser Ausstellung „Funde am Hohen Ufer“ – Strandläufer und Meerwunder erinnert mich an ein Praktikum an der Ostsee gemeinsam mit Prof. Richter und Herrn Prusko, es erinnert mich an unsere zeichnerischen Versuche am Strand, um diese Entwürfe dann in den Räumen der Universität in verschiedenste Drucktechniken umzusetzen. Mit Naturstudien, die einen wichtigen Platz im Studienplan einnahmen, experimentierten wir und wir wurden vertraut gemacht mit den Geheimnissen der Bildgestaltung und vielen künstlerischen Techniken, auch so mancher sehr alten Technik, die längst vergessen schien wie zum Beispiel mit der Tiefdrucktechnik Mezzotinto oder der Reservage, ein Absprengverfahren bei der Radierung.
Prof. Richter war ein ernster, feinsinniger Mensch mit leisem Humor. Seine Sammlung lustig misslungener Studentenarbeiten hat er aber niemals öffentlich gemacht. (Ich hätte sie gern gesehen.) Später in meiner Lehrtätigkeit hatte ich dann auch so eine Sammlung und wusste, was er damals meinte. Seine Haltung als Dozent war gegenüber den Studierenden immer mit Achtung gepaart. Ich nahm ihn wahr als einen Menschen im Bewusstsein der Flüchtigkeit der Erscheinungswelt, in die er sich einbezogen wusste. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich von den unterrichtenden Dozenten ein Fundament erhalten hatte, auf das ich meine 40-jährige Tätigkeit als Pädagogin und Künstlerin bauen konnte.
Diese Ausstellung „Funde am Hohen Ufer“ ist, wie die vorhergehenden thematischen Ausstellungen, von Herrn Helmut Müller in enger Zusammenarbeit mit der Familie Richters gestaltet, und ich möchte anmerken, dass das Schaffen von Gerenot Richter in jeder Räumlichkeit so arrangiert wurde, dass dies ein eigenes Kunstwerk ist. Sehr interessant, wie Helmut Müller Gerenot Richters Experimente an einem Motiv oftmals so gegenübergestellt, dass der aufmerksame Betrachter die erstaunlichen Veränderungen in der Wirkung bemerken kann. Er hat eine Regie geführt, die unsere Blicke lenkt, die ästhetischen Genuss schafft und uns die Kunst erleben lässt!
Wir sehen hier 70 Werke Gerenot Richters zum Ostseethema, von den 1960er Jahren bis zum Jahr 1989. In zwei Räumen und einem Durchgang werden Handzeichnungen mit Bleistift, Feder, Filzstift und sogar farbige Arbeiten gezeigt, darunter zwei Öl-Bilder. Und natürlich Lithografien und die von ihm bevorzugten, mit Leidenschaft betriebenen Tiefdrucktechniken: Kaltnadelradierung, Ätzradierung und Aquatinta. Hier konzentrieren sich See und Strand – Motive mit all seinem Beobachteten, Gefundenen oder Erträumten.
Welche Motive verbinden sich für uns mit der Ostsee? Wir denken an Strände, Steine, Muscheln, knorrige Hölzer, weite Himmel, Wolken, Schiffe, Boote, sich Sonnende, Strandläufer, Badende und mehr ... Alles das finden wir auch in der Bilderwelt Gerenot Richters! Ausgehend von den Aufenthalten an der Ostsee, entwickelte sich im Schaffen Gerenot Richters dieses Thema zu einem bedeutsamen, das sich durch sein Gesamtschaffen zieht, sein reifes Werk prägt und auf den Übergang zu seinen letzten Arbeiten weist. Mit diesem Thema hat sich die besondere Eigenart der Gestaltungskonzeption Gerenot Richters entwickelt.
Die Ostseebilder spiegeln Persönliches, sie spiegeln in bemerkenswerter Weise auch das Leben in der DDR. Die weiten Strände auf Rügen, Usedom oder Darß sind für viele ehemalige DDR-Bürger verbunden mit Urlaubserinnerungen, mit einem Abschalten vom Alltag. Hier konnte man eintauchen in ein Gefühl von unbeschwerter Weite und Freiheit, nicht zuletzt durch die legalisierte Freikörperkultur der Badeordnung (von 1956). Freiheit zu spüren, der tiefe Wunsch vieler DDR-Bürger, konnte hier gestillt werden. Die fröhliche Stimmung verband sich zugleich aber auch mit einer Ahnung von der Bedrohung des Lebens.
Da gab es die spürbar gewaltige Kraft der See und des Windes, den nicht zu überblickenden, weiten Landschaftsraum, die hoch aufragenden Kreidefelsen der Steilküste, die Steine und gestürzten Bäume. Werden und Vergehen erscheinen sichtbar ineinander verwoben. Dort, wo die Natur fortlaufender Veränderung unterliegt, dort wo der Mensch im Spannungsfeld gigantischer Kräfte steht, dort wird der Mensch sich seiner Winzigkeit bewusst! Da wächst Beunruhigung! Hier wird verständlich: Nichts bleibt, wie es war!
Das Motiv des Strandes und der See in den Werken der DDR-Kunst mit all seinen differenzierten künstlerischen Formlösungen, erscheint als Ort einer über die Grenzen der Menschen erhabenen Existenz. Die ostdeutsche Kunst – da können wir in alle Richtungen schauen, besonders aber zu den Künstlern der Leipziger Schule (die G. R. sehr schätzte!) – durchzieht die Liebe zur Ostsee! Das verwundert nicht. Vor dem Hintergrund einer hermetisch abgeschlossenen DDR wurde dieser Landschaftsraum Motiv für avantgardistische Pleinairs und Symbol für Fernweh. Es lässt sich erkennen, dass diese Ostseebilder über Privates hinauswuchsen und zu einem gesellschaftlichen Thema wurden, ja in besonderem Maße identitätsprägend! Das Werk Gerenot Richters gehört dazu! Hier fand Nachdenklichkeit, das Reflektieren über Humanität und über unser Naturverständnis einen Ausdruck.
Man kann unbescheiden sagen, dass viele Ostseebilder dieser Zeit bemerkenswerte, kunsthistorisch wertvolle Leistungen sind, die sich in die Reihe der konventionellen Strand- und Meerstücke stellen dürfen!
In den Meisterwerken der Kunstgeschichte kannte sich Gerenot Richter hervorragend aus! Um es mit seinen Worten zu sagen: er stand auf den Schultern der „Alten Meister“, er trug ihr Können und ihre Werte weiter in seine Zeit, in unsere Zeit. An dieser Stelle möchte ich ganz besonders auf die vier großartigen Radierungen verweisen, die Gerenot Richter zum 450. Todestag Albrecht Dürers geschaffen hat. Zu den wunderbaren Radierungen Gerenot Richters gehören unbedingt auch die Strandläufer-Bilder, die Seestücke und die Meerwunder mit ihren rätselhaften Funden, wo Wirklichkeit und Gestaltung eine spielerische Surrealität gewinnen. Mein Blick blieb lange am Blatt „Strandläufer V“ aus dem Jahr 1977 hängen, eine Radierung, die Teile mit der Aquatintatechnik verbindet. Es entstand in den Jahren meiner Studienzeit, ich erkenne sofort im Vordergrund seine akribisch genau erfasste lederne Umhängetasche und ein Fernglas. Diese Gegenstände zusammen mit einem Handtuch befinden sich an einem, vom Wasser geprägten Holzpfahl, der an Vergehen und Wandel denken lässt, und der aufrecht, wie ein Obelisk, den linken Bildrand begrenzt. Immer wieder sind es die Dinge des Alltags, denen sich die Augen Gerenot Richters so liebevoll zuwenden, Dinge, die eine Ausstrahlung haben, die ich mit der Sprache von R. M. Rilke wiedergeben möchte: „die Dinge, die Dinge singen hör ich so gern“.
In den Arbeiten Gerenot Richters schaffen die behutsam gegliederten Tonwerte, die leisen und auch kräftigen Bewegungen vielfältiger Strukturen tatsächlich eine Rhythmisierung, die man hören kann! Schauen Sie nur auf die Dynamik der Linien, der Flächen und Strukturen! Gesehenes wird hörbar! Spannung baut sich durch die Verbindung der Gegensätze auf. Licht und Finsternis, Bewegung und Ruhe bedingen einander. Das von Menschenhand Geschaffene berührt das in der Natur Gewachsene, das Nahe korrespondiert mit der Ferne!
Plötzlich nehme ich in der Ferne, am Ufer des Strandes den Strandläufer wahr, miniaturhaft gezeichnet, mittig an den unteren Bildrand gesetzt, kreisen meine Gedanken um ihn. Er schreitet, so als wolle und könne er über das Wasser laufen, er ist in Bewegung, will zu neuen Ufern!
Der Schreitende, ein bekanntes Motiv in der Kunst, steht in einer künstlerischen Tradition, die von der Antike bis in unsere Gegenwart reicht. (Ägypter / Rodin / Giacometti / Mattheuer). Dieses Motiv verbindet sich immer mit Bewegung, mit Aktivität, mit Kraft, mit dem Neugierigsein auf Neues, mit einem Aufbruch, mit Veränderungen, die sowohl persönlich als auch gesellschaftlich gedacht werden können, oft ohne zu wissen, wohin oder wie es weiter geht.
Mit einer Zeichenmappe unter dem Arm ist der Mann der See zugewandt, erinnert vielleicht an den Künstler selbst und erinnert auch an die Meditation des Mönchs am Meer von Caspar D. Friedrich. Möwen erheben sich in die Luft, sie assoziieren ein freies Leben. Erde und Wasser, Himmel und ein phantasievolles Wolkengebilde, welches Formen schafft, die vielleicht ein Pegasus sind oder ein Phönix? Ich kann versinkend träumen!
Der rechte Bildrand ist offen – hier fließt alles weiter wie das Leben. Ich entdecke, die Strandläuferbilder sind Sehnsuchtsbilder. Sie spiegeln eine tiefe Naturverehrung mit dem Wissen um ihre Verletzbarkeit. Eine so kleine bescheidene Arbeit von solch konzentrierter Größe, das macht für mich das Schaffen Gerenot Richters aus.
Verblüffende Perspektiven, Räume und Durchblicke, Mensch und Tier, Gegenstände oder Phantastisches! Klein – groß, dieser Aspekt wird typisch für die Bilder Gerenot Richters. Kleine Dinge, die er findet, zum Beispiel verwitterte Hölzchen werden im Bild Baumgiganten und einen Menschen oder ein Fahrrad muss man mit der Lupe suchen. Diese proportionale Veränderung der Wirklichkeit ist eine typisch surreale Konzeption.
In allen grafischen Blättern Gerenot Richters zeichnet die Radiernadel oder die Spitze des Bleistifts vielfältige Linien, filigrane Strukturen und manchmal stellt der Künstler Flächen daneben. So gestalten sich verblüffende Perspektiven, Räume und Durchblicke, Mensch und Tier, Gegenstände oder Phantastisches! Die gewohnte Wahrnehmung sprengend, führt uns die Kunst Richters zu unerwarteten Eindrücken und uns berührenden Gedanken.
Gerenot Richter gibt dem mit Demut vor der Natur Gesehenen eine bildkünstlerische Übersetzung, die aus der Beobachtung heraus ergänzt, zitiert oder erfindet. Er hat zu einer poetischen, unaufdringlichen Bildsprache gefunden, immer authentisch, mit höchster technischer Meisterschaft, die ein sensibles Sehen fordert. Seine Kunst ist eine Weide für unsere Seele. Wer sich darauf einlässt, wird beschenkt.
Danke fürs Zuhören.
„Funde am Hohen Ufer“ – Strandläufer und Meerwunder
Ausstellung vom 23. November 2016 bis 11. Januar 2017
Galerie 100 | Konrad-Wolf-Straße 99 | 13055 Berlin
Laudatio: Christina M. Wilsky
Musik: Barbara Ehwald (Sopran), Giedre Lutz (Klavier)
I-05 Spreebrücke
I-14 Hinter der Karl-Marx-Allee
I-41 Aufbau Berliner Stadtzentrum III
I-40 Aufbau Berliner Stadtzentrum II
I-45 Die neue Silhouette I (Leipziger Straße)
I-47 Die neue Silhouette III
I-48 Die neue Silhouette IV
I-17 Jachthafen Warnemünde
I-19 Speicher am Hafen
I-27 Rostock – Fischerbastei I
I-28 Rostock – Fischerbastei II
I-37 Leningrad (St. Petersburg), An der New
Flachdrucke, außerhalb des Werkverzeichnisses
Berlin Mitte, Nikolaikirche – Lithographie, Feder/Pinsel 1968 [nicht im WV]
Leningrad (St. Petersburg), Moikabrücken – Lithographie, Pinsel 1968 [nicht im WV]
II-003 Friedrichshain
II-004 S-Bahnhof
II-020 Kleine WerftII-021 Spreebrücke mit Dampframme
II-022 Moskau
II-032 Brücke im Schnee II *
II-034 Bautzen
II-035 Budapest *
II-060 Am Ball bleiben - Putbus 1976, Radierung u. Aquatinta
II-083 Museumsinsel
II-090 Domengel
II-161 Zerstörte Dächer
II-171 Die neue Friedrichsbrücke I
II-187 Museumsinsel bei Nacht
II-188 Gleichnis I *
II-194 Spreeathen I
II-195 Spreebrücken
II-214 Die Uhr im Lesesaal */**
II-215 Gruß aus Berlin
II-216 Das Schauspielhaus 2. Versuch
II-218 Rostock (Schwaansche Landstraße)
II-220 Dresden (Elbbrücke mit Kathol. Hofkirche)
II-223 Berliner Mahnmal (Synagoge) */**
II-240 Spreeathen II *
II-242 Drei Grazien (Friedrichstadtpalast) */**
II-244 Artem non odit nisi ignarus (Neues Museum) *
II-254 Wismar (St. Nicolai an der Grube)
II-260 Brügge
II-261 Die neue Friedrichsbrücke II *
II-303 Bautzen
II-304 Herbstlicht (für Ingeborg)
[* ins Nachlassverzeichnis Private Künstlernachlasse eingetragen | ** Zustände und Druckvariationen]
III-012 An der St. Nikolaikirche I
III-013 An der St. Nikolaikirche II
III-025 Leningrad (St. Petersburg), Sommergarten
III-027 Dresden
III-082 Wismar, An der St. Nikolaikirche III
Handzeichnungen, außerhalb des Werkverzeichnisses
Fischerbastei I – Zeichnung (Filzstift) 1966 [nicht im WV]
An der Petrikirche II – Zeichnung (Filzstift) 1966 [nicht im WV]
Rostock (Schwaansche Landstraße) – Zeichnung (Bleistift) 1976 [nicht im WV]
Nikolaikirche – Zeichnung, Feder, blau 1967 [nicht im WV]
Moskau I – Zeichnung (Feder, lila) 1968 [nicht im WV]
Moskau II – Zeichnung (Feder, lila) 1968 [nicht im WV]
Leningrad (St. Petersburg), An der Newa – Zeichnung (Filzstift, Deckweiß) 1968 [nicht im WV]
Budapest – Zeichnung (Kugelschr.schwarz) 1972 [nicht im WV]
Meiner lieben Ingeborg zum 23.9.88 mit Wünschen für viele Jahre gemeinsamen Glücks – Zeichnung (Feder, blau) 1988 [nicht im WV]
Blick aus dem 5. Stock des Hauses Burgstr. 26 – Zeichnung (Filzstift/Pinsel, Tusche, schwarz) 1969 [nicht im WV]
Prenzlauer Allee / Karl-Liebknecht-Straße – Zeichnung (Feder, schwarz) 1969 [nicht im WV]
Littenstraße – Zeichnung (Filzstift) 1969, [nicht im WV]
Rund um den Fernsehturm – Zeichung (Feder, schwarz, laviert) 1969 [nicht im WV]
Baustelle Hoyerswerda – Zeichnung (Feder, blau) 1964 [nicht im WV]
Bautzen – Zeichnung (Skripent, schwarz) 1973 [nicht im WV]
Sportplatz in Putbus – Zeichnung (Bleistift) 1974 [nicht im WV]
Kleine Rostocker Werft 1 – Zeichnung 1966(Feder schwarz) [nicht im WV]
Kleine Rostocker Werft 2 – Zeichnung 1966 (Feder schwarz) [nicht im WV]
Farbige Arbeiten, außerhalb des Werkverzeichnisses
Erinnerung an Moskau – Öl 1971 [nicht im WV], Leihgabe HUB
S-Bahnhof (Jannowitzbrücke) – Öl auf Hartfaser 1968 [nicht im WV]
Spreebrücke – Gouache 1953 [nicht im WV]
Baustelle Hoyerswerda – Siebdruck 1965 [nicht im WV]
Altenberg – Öl auf Hartfaser um 1960 [nicht im WV]
Sportplatz in Putbus Aquarell 1974 [nicht im WV]
Neustadt / Orla Öl auf Hartfaser 1962 [nicht im WV]
Kleine Rostocker Werft – Öl auf Leinwand 1968 [nicht im WV]
Aus der Laudatio von Roland R. Berger zur Ausstellungseröffnung
am 25. Oktober 2016 | Humboldt-Universität zu Berlin
Aus Anlass des 25. Todestages und des bevorstehenden 90. Geburtstags von Prof. Dr. Gerenot Richter haben seine Kinder sowie seine Gattin ein Ausstellungsprojekt zu seinem Gedenken angeregt, das in sechs Kapiteln einen Überblick zum künstlerischen Schaffen des Grafikers, Zeichners und Malers zeigt. Das Projekt wurde kuratierend und organisatorisch von Helmut Müller begleitet und betreut, einem Schüler von Gerenot Richter und profunden Kenner des Gesamtwerkes.
Zwei Ausstellungen sind bereits in Gransee-Dannenwalde und in Fürstenwalde gezeigt worden, diese hier ist die dritte in der Reihe, drei weitere werden noch folgen. Nun also hier im Lichthof der Humboldt-Universität zu Berlin die Stadtlandschaften unter dem Titel „Spree-Athen“, obwohl Richter nur einer Grafik diesen Titel gegeben hatte. Sie wird hier in mehreren Druckvarianten vorgestellt. „Spree-Athen“ aber doch, weil Berlin – Ost-Berlin, die Hauptstadt der DDR – zum Mittelpunkt des Lebens und der Schaffensort des gebürtigen Dresdners Gerenot Richter wurde.
Spreeathen – Eine kleine Abschweifung zum Synonym für die Stadt Berlin. Der Begriff wurde von dem Juristen und Dichter Erdmann Wircker 1706 anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens der ersten brandenburgischen Landesuniversität Alma Mater Viadrina in Frankfurt / Oder geprägt. In einer Festschrift huldigte Wircker dem Landesherrn König Friedrich I. von Preußen:
„Die Fürsten wollen selbst in deine Schule gehn
Erdmann Wircker 1706
Drumb hastu auch für sie ein Spree-Athen gebauet,
Wo Prinzen in der Zahl gelehrter Musen stehn
Da wird die Weisheit erst in rechter Pracht geschauet.“
Das sind natürlich Vorschusslorbeeren, denn die mithin unter diesem Begriff zu erwartenden Bauten entstanden in Berlin erst viele Jahrzehnte später, selbst die Universität wurde ja erst 1810 gegründet (Leipzig als Pleiße-Athen, Jena als Saale-Athen, Sehnsucht nach einem Nationalstaat, getragen von antikisierender Bildungsbeflissenheit / „Spree-Athen“ – der Begriff wurde für und in der Stadt gutmütig gemeinter Spitzname dank der lockeren Berliner Mundart)
Gerenot Richter, 1926 in Dresden-Laubegast als Sohn eines Studienrates geboren, kam 1951, nach Schulzeit, Kriegsdienst und Gefangenschaft und als Neulehrer in Dresden sowie einem dort und in Leipzig begonnenem Studium der Fächer Kunsterziehung und Geografie nach Berlin und schloss an der Humboldt-Universität sein Studium ab und arbeitete fortan an „seinem“ Institut in der Burgstraße Nummer 26.
Die Ausstellung zeigt als früheste Arbeit eine Gouache-Malerei von 1953 mit Berliner Brücken. Der Standort für diese Darstellung, die malerisch überraschend französisch anmutet, ist gegenüber dem Institutseingang an der Friedrichsbrücke mit Blick auf die Spree Richtung Nordwesten. Das Motiv kehrt in Richters Werk immer wieder. Dieser Kiez wurde seine Arbeitsheimat, nicht nur von der Burgstraße aus. Aber die Sicht aus den oberen Etagen des Instituts, auch von Dach in alle Himmelsrichtungen hatte einen ungemein starken Reiz. Dieser Blick nährte sogar Gerenots Hoffnung auf Genesung, eine letzte Rundumsicht ist ein rührend-zeichnerischer Gruß an seine Frau Ingeborg.
Richters Berliner Stadtlandschaften haben, vor allem in den 1960er und 1970er Jahren, ihren Beobachtungsmittelpunkt: Burgstraße 26. In diesen beiden Jahrzehnten, die von ehrgeizigen und imponierenden Bauprojekten in allen größeren Städten der DDR geprägt waren, sind die Richterschen Arbeiten zu Berlin vedutenhaft genaue, geradezu die Bauentwicklung begleitende Dokumentationen. Die Art des Zeichnens vereint akribisches Erfassen der Bauwerke und Straßen mit abstrakten Schraffierungen als zeichnerische Wiedergabe einer als dynamisch empfundenen Atmosphäre. Diese Konzeption des grafischen Ausdrucks ist in den Handzeichnungen ebenso zu finden wie bei den Lithographien im Druckgrafischen. Es war gewissermaßen eine formelhafte Zeichenfindung für diese Aufbruchs-und Aufbaujahre.
Helmut Müller, der mit Ekkehard Richter die Ausstellung aufgebaut hat, ließ sich beim der Hängen der Bilder – ein Glück für Berlin- und Kunstkenner – von Sinn stiftenden Reihungen oder Gegenüberstellungen didaktischer Art leiten, die historische Entwicklungen und Abläufe in der Architektur Berlins bildhaft vergegenwärtigen und oft auch unterschiedliche Druckfassungen als künstlerisches Äquivalent vorstellen. Das wird besonders bei den Tiefdruckgrafiken Richters deutlich, die häufig erst als linear und strukturell vorangetriebene Bildgespinste erarbeitet und gedruckt wurden und nachfolgend mit den flächenfüllenden Körnungen verschiedener Grautöne der Aquatintatechnik einer Verwandlung unterzogen wurden. Im Vergleich der Druckgrafiken wird man bemerken, dass die Komposition und das räumliche Gefüge neue Akzente ausleuchtet und das Helldunkel der Bilder einer dramatisierten Lichtregie folgt.
Gerenot Richter hatte inzwischen bei der Betrachtung der Welt und der Natur vielfältige Erfahrungen gesammelt. Richtschnur waren ihm die alten Meister der Weltkunst, allen voran Albrecht Dürer. Vom Menschen verschonte oder nicht beachtete Bereiche in der Natur und freien Landschaft faszinierten und verführten ihn zur Erprobung einer bildhaften Wiedergabe. Nahezu versteckt waren seine einsamen Arbeitsaufenthalte am Motiv. Etliche Werkgruppen in den späten 1970er und beginnenden 1980er Jahren zeugen von dieser beobachterischen Besessenheit (Strandläufer / Zitate aus dem Bildarsenal Dürers / Strand- und Tagebaulandschaften / Pflanzen, alte Bäume und Fossilien / Schicksale in der Natur-Blattfolge „Nach dem Sturm“ u. a.). Richter schuf, diesem Impetus folgend, die großformatigen Grafiken seiner Gleichnisse. „Gleichnis I“ wird hier stellvertretend gezeigt.
Die gewonnenen neuen Gestaltungsmöglichkeiten sind zum Beispiel die wuchernde Dichte des gezeichneten Bildnetzes mit verschiedenen Tiefen der Räumlichkeit bei einem üppig überbordenden Vordergrund und vehementen, gar gleißend hellen Durchblicken in die Ferne oder die im Bildgefüge versteckten Gegenstände, Zitate aus Werken der alten und neuen Meister, gleichsam im Bilddickicht eingeschlossene Geistesinseln. Die etwas kleineren Formate der Berlin-Bilder in den 1980er Jahren bedienen sich der neuen Qualität der Bildsprache. Vielleicht sind sie nicht von der Wucht, der Naturkraft, der düsteren Romantik und dem geheimnisvollen Märchenzauber wie die Blätter der Gleichnisse erfüllt, so eint sie aber andere Gemeinsamkeiten.
Bei diesen Grafiken Richters besticht und beeindruckt das Authentische des Menschenwerks Architektur als bewundernswerte Schöpfung, als geschichtsträchtiges Zeichen mit einmaligem Nimbus, aber ausgesetzt den Symptomen der Vergänglichkeit, zeitlich bedingtem Zerfall oder der Zerstörung durch Gewalt von Menschen im Krieg. Die Bilder erfassen die Bestände von Bauensembles und deren historisches Schicksal in der Mitte Berlins. In der bildlichen Vergegenwärtigung Richters erfahren die Kulissen und Zeugen der stadtgeschichtlichen Kultur eine gleichnishafte Bestimmung und sollen als Mahnzeichen kultureller und geistiger Besinnung verstanden werden.
Auf Staffage wie in den großen Gleichnissen verzichtet Richter, baut aber deutliche Hinweise ins Bild. Sie sind schriftlicher Art bei der Ruine des Neuen Museums, oder eine raffinierte Lichtregie beherrscht die nächtliche Museumsinsel, oder konkrete Bauwerke sind in Durchblicken zu entdecken (Palasthotel, Berliner Ensemble, Charité-Hochhaus), oder bestimmte Bildobjekte entfalten eine eigene Symbolik (die zeigerlose Uhr, das Dekor von Hans Poelzig als Grazien eines Revuetheaters), oder gar die Phänomene jahreszeitlicher Natur (die brüchigen Eisschollen vor dem Dom im Nebel, ein tiefschwarzer Nachthimmel mit den Lebenszeichen erleuchteter Fenster im Museum) – alles deutet auf das Werden und Vergehen, aber auch auf die Möglichkeit des Bestehens, wenn sich der Mensch darum bemüht und kümmert. Dass die Ausstellung an andere Städte im In-und Ausland bildhaft erinnert (Moskau, Leningrad / St. Petersburg, Budapest, Rostock, Bautzen, Hoyerswerda, Putbus u. a.) zeugt auch von einer farbigen Weltläufigkeit im Werk des eigeschworenen Grafikers Richter.
Ein wichtiges Blatt vermisse ich allerdings. Richters Geburtsstadt Dresden ist nur mit zwei Arbeiten mehr touristischer Art präsent. Gern hätte ich die Kaltnadelradierung „Vita III“ von 1982 hier gesehen. In dem Blatt schläft das Christuskind (nach Mantegna gezeichnet) friedlich in einer schützenden Pflanzenhöhle, die auf den bizarren Trümmern der im 2. Weltkrieg zerstörten Dresdener Frauenkirche wächst (WV: II-169). Ein erinnernder Einschub meinerseits.
Ein richtiger Richter-Schüler bin ich nicht gewesen. Gerenot Richter war nur ein Semester lang mein Lehrer. Nach dem Studium als sein jüngster Kollege lernte ich ihn auf Dauer als Freund kennen und schätzen. Mit ihm konnte ich über alles sprechen, auch über Privates und heikle Bereiche in der Politik. Ich hatte volles Vertrauen zu ihm, da ich wusste, dass er zu schweigen vermochte. Gern habe ich dienstliche Aufträge von ihm übernommen. Wir waren uns in fast allen Belangen konzeptionell, praktisch und politisch einig und arbeiteten zuweilen sehr eng zusammen.
Gerenot war mir stets in vielerlei Hinsicht Vorbild: Ein Sachse mit preußischen Tugenden, wie Pünktlichkeit, umsichtige Neugier und waches Informiertsein, Zuverlässigkeit und natürlich Fleiß und Ausdauer. Zu jedem Termin kam er gut vorbereitet und ernsthaft-gutgelaunt. Als Künstler tendierte er zum Einzelgänger, zum Dürerschen Hieronymus. Er war ein wahrhaft begnadeter Druckgrafiker.
Gerenots Unterricht wurde gern besucht. Es gab etliche Studenten, die seiner Kunst nacheiferten.
Im Kollegium hatte man den Eindruck, dass er Wert darauf legte, als beliebteste Lehrkraft zu gelten. Manche seiner Eigenheiten deuteten darauf hin. Jedoch konnte Gerenot in bestimmten Situationen auch ein mutig-trotziger großer Junge sein, ein eigenwilliger Kämpfer. Einige seiner Eskapaden sind Legende geworden, etwa seine wagehalsigen Klettereien auf dem Institutsdach, um es zu reparieren.
In den 1980er Jahren hatte Gerenot Richter zu sich selbst als Künstler gefunden und konnte sich ganz auf seine Passion konzentrieren. Seine Kunst, inzwischen gereift und gewachsen, war eine solide monolithische Basis für seinen Ruf als Hochschullehrer und Kunstschaffender. Ich freute mich für ihn und war sehr betroffen, dass ihm auf Grund seines unerwartet frühen Todes kein Alterswerk beschieden war. Vielleicht war es aber gut, dass Gerenot so die letzten Jahre und damit die Verunglimpfung, Schmähung und Vernichtung des Instituts für Kunsterziehung, das ja wesentlich auch sein Mittelpunkt und Lebenswerk war, in den Wendewirren nach 1990 nicht mehr erleben musste, als sich die Humboldt Universität gegenüber einer fragwürdigen Bildungspolitik des Berliner Senats sehr ergeben und folgsam erwies.
Geschichte hinterlässt Geschichten, Zeugen und Zeugnisse. Zu den Zeugnissen gehört die Kunst der jeweiligen Zeit, auch die Werke der Kunst von Gerenot Richter.
Freuen Sie sich in dieser Ausstellung über die Gelegenheit zu wundersamen Entdeckungen, zu Genüssen des Anschauens und vielleicht zu einigen persönlichen Erkenntnissen zu gelangen – an Hand der ehrlichen, menschennahen und substantiell hochkarätigen Kunst von Gerenot Richter.
„Spreeathen“ – Stadtlandschaften
Ausstellung vom 25. Oktober bis 16. November 2016
Humboldt-Universität zu Berlin | Hauptgebäude, Lichthof Ostflügel | Unter den Linden 6 | 10177 Berlin
Laudatio: Roland R. Berger
Musik: Maria Richter (Cello), Mathies Rath (Gitarre)
I-50 Hommage á Michelangelo
Gleichnisse *
II-188 Gleichnis I
II-192 „Ging heut' morgen übers Feld“ (Gustav Mahler 1884) Fassung B
II-210 Der ungetreue Hirt (Hommage ä Bruegel)
II-222 Gleichnis II (Die Blinden)
II-263 Gleichnis III (Eustachius)
II-282 Begegnung (Bremer Iris)
II-304 Herbstlicht (für Ingeborg)
Aus der Folge Nach dem Sturm
II-131 Nach dem Sturm I (Ende eines Hochwaldes)
II-133 Nach dem Sturm lI A
Dürers 450. Todestag
II-075 Der Traum des Podagristen *
II-076 Melancolia
II-077 Das Meerwunder *
II-078 Das große und das kleine Glück *
Vita
II-154 Vita I (nach Mantegna)
II-168 Vita II (nach Mantegna)
II-169 Vita III (nach Mantegna)
II-186 Vita IV (nach Mantegna)
II-044 Rügen '74 (terra mater) *
II-047 Erinnerung an L. *
II-048 Wegzeichen – 450. Jahrestag des deutschen Bauernkrieges
II-050 Die Höhle *
II-051 Kleine terra mater
II-053 Spanien'75 *
II-054 Schwerer Anfang
II-056 Nowgorod
II-067 Für Ludwig *
II-068 Rügen '74 (Putbus)
II-079 Spuren
II-080 Eva und Adam
II-081 Am Bodden - Gerhard Marcks zum 90. Geburtstag *
II-082 Winter in Thüringen *
II-090 Domengel
II-091 Pablo im Darß
II-093 Acis und Galatea (nach Claude Lorrain) *
II-100 Fragmente (Zusammendruck 2 Platten) *
II-102 Im Schloßgarten
II-103 Die Versuchung
II-105 Das Neugeborene *
II-108 Das Kind *
II-130 Vaters Uhr – 6 Steine *
II-135 Die Rast
II-152 Pan
II-158 Frühling mit A. D.
II-161 Zerstörte Dächer
II-190 Tödliche Stille
II-199 Stilleben mit Tuch - für K.K. *
II-200 Harmonie
II-207 für M. S. *
II-208 Fichten (Artemis)
II-209 Sommer mit M.S. *
II-213 D 1500 – Das Meerwunder
II-217 Unter Bäumen III *
II-239 Er-sie-es
II-245 Manneken Pis (Antwerpen) *
II-281 Exlibris Jan de Maere
II-283 Ex libris Werner Saemmler Hindrichs
II-237 Ex libris Gisold Lammel
II-253 Füllhorn und leere Scheuer *
II-284 Albrecht Altdorfer zum 450. Todestag
II-285 Hommage á Georg Friedrich Kersting (Die Stickerin, 1812) *
II-294 Parkmauer *
Aus der Folge Strandläufer
II-064 Strandläufer IV *
II-066 Strandläufer VI *
Friedliche Landschaften I - VI *
(als Zusammendruck von 6 Platten)
II-121 Friedliche Landschaft I (Pferde)
II-122 Friedliche Landschaft II (Steg)
II-123 Friedliche Landschaft III (Reiher)
II-124 Friedliche Landschaft IV (Hasen)
II-125 Friedliche Landschaft V (Haus)
II-126 Friedliche Landschaft VI (Hohlweg)
III-099 Plakatentwurf (für H.E.)
III-132 Parkmauer von Schloß Neschwitz
Lutoslawski - Bartok - Schönberg – Zeichnung (Feder schwarz) 1973 [nicht im WV]
Wegzeichen - 450. Jahrestagdes deutschen Bauernkrieges – Zeichnung (Bleistift) [nicht im WV]
Kopf von Michelangelo – Zeichnung (Bleistift) 1975 [nicht im WV]
Kopf von Michelangelo II – Zeichnung (Bleistift) 1975 [nicht im WV]
[* ins Nchlassverzeichnis bei Private Künsternachlässe aufgenommen]
Aus der Laudatio von Helmut Müller zur Ausstellungseröffnung
am 1. Juli 2016 | Domgalerie Fürstenwalde
Gerenot Richter „Ging heut' morgen übers Feld“ – Hommage und Gleichnis Kapitel 2 der 6-teiligen Ausstellungsreihe anlässlich des 90. Geburtstages und 25. Todestages von Gerenot Richter trägt den Titel der ersten ganz großen Gleichnisgrafik von Richter „Ging heut' morgen übers Feld“. Diese, die noch darauf folgenden fünf weiteren großen Gleichnisse und das etwas kleinere „Gleichnis I“ bilden den Kern dieser Ausstellung. Wir haben also alle Meilensteine Richterscher Grafik hier versammelt, umgeben von einer Auswahl weiterer Blätter, auf die der Untertitel „Hommage und Gleichnis“ zutrifft.
Man könnte diese Ausstellung also durchaus als die Hauptschau unter den sechs Ausstellungen betrachten, für die sich auch in dieser Galerie ein wunderbarer Ausstellungsort gefunden hat. *)
„Hommage und Gleichnis“ im Werk Gerenot Richters – ein Thema, das schon in vielen Texten durch Kunsthistoriker untersucht wurde. Besonders die Arbeiten von Gisold Lammel (1942-2001) seien genannt, vor allem sein Text im Greizer Katalog von 1997. Aber auch die Veröffentlichungen von Peter H. Feist (1928-2015) müssen in diesem Zusammenhang erwähnt werden und die hervorragende Besprechung dieser sechsteiligen Werkschau von Volkhard Böhm. Vieles davon ist auch im Internet greifbar, vor allem auf der von Ekkehard Richter installierten Website seines Vaters.
Was habe ich hier da jetzt noch mitzuteilen? Soll ich jetzt Zitat an Zitat reihen um zu einer umfassenden Beschreibung des Themas zu kommen? Das würde eine ziemlich lange Rede werden, die doch nichts neues bringt – also lesen Sie lieber selbst nach. Mein Bezug zu Richters Grafik ist auch kein kunsthistorischer, sondern eher ein praktischer, also will ich auch mal von dieser Seite versuchen heranzugehen, verbunden mit einigen persönlichen Erinnerungen.
Wer die vorige Ausstellung in Dannenwalde gesehen hat, weiß spätestens seitdem, welche große Rolle das Zeichnen vor der Natur als Voraussetzung für Gerenot Richter Grafik spielt. Dort konnte man eine Auswahl von Kaltnadelradierungen aus den späten Grafikkassetten von 1987 und 1988 mit ihren zeichnerischen Vorarbeiten vergleichen – hier haben wir nur einen solchen Vergleich aufgenommen, die „Parkmauer von Schloss Neschwitz“. Vorarbeiten? Sind diese genau beobachteten, intensiven Zeichnungen wirklich nur Vorarbeiten? Auf meine Bemerkung vor seiner Ausstellung 1984 in der Galerie Unter den Linden, dass ich auf die Zeichnungen besonders neugierig bin, hat er sie selbst so bezeichnet: „ganz eng an der Natur und nur Vorarbeiten...“.
Ich finde, dass seine Zeichnungen auch als selbständige und fertige Arbeiten bestehen können, aber Vorarbeiten sind sie insofern, als dass er beim Zeichnen immer schon die Radierung im Sinn hatte. Im Alltag bot sich ihm allerdings wenig Gelegenheit solche aufwendigen Zeichnungen zu machen. Abgesehen von unermüdlichen Kritzeleien während langwieriger Sitzungen und Konferenzen musste das Zeichnen während der jährlich stattfindenden Studentenpraktika erfolgen. Und diese Zeit wurde von ihm maximal genutzt. „Wenn ich nicht weiß, dass ich mindestens sechs Stunden Zeit zum Zeichnen habe, fange ich erst gar nicht an”, hat er mir Mitte der 1980er Jahre mal gesagt. Dass es ihm Ernst mit dieser Aussage war, durfte ich in dieser Zeit oft miterleben. Ein Beispiel dafür: Die Zeichnung für die Grafik „Manneken Pis“ entstand 1986 im Stadtpark von Lohsa in der Lausitz in zweieinhalb Tagen. Leider können wir sie hier nicht zeigen, weil sie sich im Otto Dix Haus in Gera befindet – aber im Katalog ist sie abgebildet und sie unterscheidet sich von der Grafik nur dadurch, dass sie spiegelverkehrt ist und das Brueghel-Zitat noch fehlt. Mit dem Zeichnen der riesigen Wurzel im Vordergrund hat er begonnen – ganz konzentriert auf das Erfassen der komplizierten Form; Naturstudium im besten Sinne.
„Dann wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie.“
Albrecht Dürer
Herausreißen meint in diesem Zusammenhang ZEICHNEN. Und Richter hatte die Kunst! So ist dann nach längerem intensiven Arbeiten (drei, vier, fünf Stunden – ich weiß es nicht mehr so genau ) eine hervorragend durchgearbeitete Studie dieser Wurzel entstanden. Für jeden anderen wäre das ein fertiges gültiges Blatt und als Tagesergebnis genug gewesen. Nicht so für Richter! Mit dem zu zwei Ditteln noch leeren Blatt setzte er seinen Parkspaziergang fort, um sich ca. 100 Meter weiter, mitten im fast mannshohen Brennesselgestrüpp vor zwei mächtigen Eichen erneut zum Zeichnen niederzulassen. Da die Zeit an diesem Tag natürlich nicht mehr zum Fertigstellen der Zeichnung reichte, wurde die Arbeit am nächsten und übernächsten Tag fortgesetzt. Durchaus denkbar, dass ein in dieser Zeit durch den Park flanierender Spaziergänger seine Notdurft im Gestrüpp verrichtet hat, ohne den in den Brennesseln verborgenen Zeichner zu bemerken und so die Idee für die titelgebende Figur auf der Grafik geliefert hat.
Für diese Art konzentrierten Zeichnens hat der von Richter geschätzte westdeutsche Künstler Horst Janssen, der „Millionenstrichler“, eine treffende Benennung gefunden: „Ich bin nur ganz Auge!“ Das ist bei Richter nur bedingt richtig, hat er mir doch z. B. mal gesagt, dass das, was ihm beim Zeichnen so alles durch den Kopf geht und unbewusst in die Grafik einfließt, nur zum geringsten Teil vom Betrachter entschlüsselt werden kann. Gisold Lammel hat Richter in einem seiner Texte ein „ausgeprägtes kunsthistorisches Bewusstsein“ bescheinigt, dadurch ist dann vielleicht aus dem in die Brennesseln pieselnden Zeitgenossen Brueghels „Manneken Pis“ geworden. Aber das ist jetzt natürlich reine Spekulation.
Unbestreitbar ist jedoch, dass wir es nicht seltsam finden, dass Figuren aus Bildern von Dürer, Brueghel, Lorrain und anderen Richters Landschaften bevölkern, oder gar ein Bruchstück eines antiken Säulenkapitells Teil der Ruinen eines im Lausitzer Braunkohlerevier weggebaggerten Dorfes wird („Fragmente“). Natur und Kunstwelt verschmelzen, Raum und Zeit werden in Richters Bildwelt mühelos überbrückt.
Die von mir geschilderte Arbeitsweise, vom strengen Naturstudium zur fertigen Grafik zu gelangen, scheint keinen Raum für Spontaneität und zufällige Entdeckungen zu lassen, aber dafür ermöglichte sie es Richter, bei der sehr geringen für die eigene künstlerische Arbeit zur Verfügung stehenden Zeit, überhaupt so viel Eigenes zu schaffen. Jede Arbeit konnte jederzeit für kürzere oder längere Zeit unterbrochen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt fortgesetzt werden, ohne dass irgendwelche Brüche erkennbar sind.
Parallel dazu gab es besonders um 1980 herum noch anders entwickelte Grafiken, Richter hat hier vom „gesteuerten Zufall“ gesprochen. Hier wird die Grafik nicht durch präzise zeichnerische Vorarbeiten entwickelt, wie z.B. bei „Wegzeichen“ und „Unter Bäumen III“, sondern man beginnt zuerst mit der Bearbeitung der Druckplatte, z.B. durch Abklatschen des noch feuchten Abdecklacks, wodurch ein teilweises unkontrolliertes Entfernen des Lackes passiert. Nach dem Ätzen sind druckbare Zufallsspuren auf der Platte, die dann zeichnerisch interpretiert werden können. Auch von den Studenten wurde diese Methode der Bildfindung gern genutzt, meist blieb jedoch sichtbar, was durch Zufall entstanden war und was gezeichnet. Nicht so bei Richter, hier verschmelzen Zufallsstrukturen und bewusst Gezeichnetes zu einer Einheit – alle Arbeiten mit der Technikbezeichnung „Flächen- und Strichätzung“ sind so entstanden. Eine andere Form des „gesteuerten Zufalls“ gibt es in der Technik der Kaltnadelradierung. Zunächst werden Zufallsspuren mit verschiedensten Werkzeugen erzeugt (Zahnarztbohrer, Drahtbürste, Feile...) und diese sind dann Anregung für diszipliniertes Weiterarbeiten. „Acis und Galatea“ im oberen Raum ist ein Beispiel dafür. Oft gibt es bei Richter auf verschiedenen Grafiken wiederkehrende Motive:
Bäume, die manchmal gar keine sind, sondern nur kleine Ästchen: „Strandläufer IV u. VI“, oder Schwemmhölzer: „Pablo im Darß“. Verschobene Größenverhältnisse führen zu surrealen Verfremdungen: „Schloßgarten“ und „Wegzeichen“. Es gibt Landschaftsfiguren: „terra mater“ und andere surreale Kombinationen: „Vita I – IV“ und „Hommage à Michelangelo“. Im oberen Raum erwartet Sie auch noch einiges mehr, unmöglich, das hier alles nur aufzuzählen. Wo er nicht überall noch etwas versteckt, dass sich auf der ohnehin schon winzigen Grafik „Zerstörte Dächer“ noch auf einem der Dachböden Dürersche Hunde balgen, ist kaum noch wahrnehmbar.
Angesichts dieser Vielfalt, Disziplin und Strenge im eigenen künstlerischen Arbeiten muss er manchmal durch die studentische Laxheit und Oberflächlichkeit ganz schön gequält worden sein – hat sich das jedoch nie anmerken lassen, blieb immer freundlich und suchte in jeder Studentenarbeit, auch der misslungensten, zunächst etwas Positives. Ich hätte mir manchmal gewünscht, mehr Kritisches von ihm zu hören. Aber Kritik war selten und kam manchmal sogar noch in gestalteter Form daher: z. B. habe ich von ihm im Studentenpraktikum, sicher in der Absicht mir auszutreiben, immer mitten im Motiv zu hocken, ein Leonardo-Zitat, sorgfältig in seiner kunstvollen Handschrift geschrieben und in der Mitte gefaltet, dezent zugesteckt bekommen.

Aber nun genug aus der Werkstatt geplaudert, kommen wir noch einmal auf das dieser Ausstellung den Titel gebende Blatt zurück. Gustav Mahlers Musik liebte Richter besonders, er hatte 1983 sogar die Gelegenheit auf einer Reise nach Wien Originalschauplätze von Mahlers Leben und Wirken zu sehen und zu zeichnen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er ihm die erste seiner ganz großen Kompositionen widmete – auch bei Mahler sind es ja vor allem die großen Kompositionen, seine Sinfonien, die er schätzte.
Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, zu untersuchen, ob es nicht auch Gemeinsamkeiten in der Arbeitsweise von Mahler und Richter gibt?
Fallen da nicht sofort welche auf?
Die erste große Komposition hat Gerenot Richter Gustav Mahler gewidmet, die letzte, schon unter unsäglichen Mühen und Schmerzen entstandene, seiner Frau Ingeborg. Wie anders ist doch dieses Blatt im Vergleich mit den anderen, die hektische Überfülle ist ausgewogener Ruhe gewichen und es ist sicher kein Zufall, dass er hier eine Plastik des großen Menschenbildners Ernst Barlach zitiert. Ein letzter Dank an seine Lebensgefährtin!
Auch ich möchte Ingeborg Richter Dank sagen, manche Leihgaben werden hier erstmalig gezeigt, andere in neue Zusammenhänge gebracht. Mit dem Entschlüsseln der vielen anderen kunsthistorischen Zitate möchte ich Sie jetzt einfach allein lassen. Richters Bilder brauchen auch nicht unbedingt einen Erklärer, selbst wenn man keins der zitierten Bilder kennt und einem die titelgebenden Gleichnisse unbekannt sind, ist es gute Grafik, die Fachleute und Laien gleichermaßen überzeugt. Wer jedoch neugierig geworden ist, dem empfehle ich einen Besuch auf der Website oder/und den Erwerb des opulenten Kataloges zu dieser Ausstellungsreihe. Sammler bekommen auch diesmal wieder die Chance vier verschiedene Kleingrafiken für kleines Geld käuflich zu erwerben.
Vielen Dank für Ihr aufmerksames Zuhören und viel Vergnügen beim Betrachten der Ausstellung.
Anmerkung:
*) Leider mit einem bedauerlichen Nachteil gegenüber allen anderen Ausstellungsorten: Die Öffnungszeiten! Trotz der langen Ausstellungszeit werden die Arbeiten nur insgesamt 36 Stunden für Besucher zugänglich sein. Gut, dass Sie die Gelegenheit gleich bei der Ausstellungseröffnung nutzen!
„Ging heut' morgen übers Feld“ – Hommage und Gleichnis
Ausstellung vom 1. Juli bis 28. August 2016
Domgalerie | Domplatz 3 | 15517 Fürstenwalde
Laudatio: Helmut Müller
Musik: Barbara Ehwald (Sopran), Giedre Lutz (Klavier)
II-044 Rügen '74 (Freetz) *
II-061 Strandläufer I *
II-106 Bäume am Hang
II-133 Nach dem Sturm IIA
II-134 Mondnacht II
II-135 Die Rast
II-146 Wald
II-159 Spielbaum
II-178 Baumdebatte
II-190 Tödliche Stille
II-193 Exlibris PR
II-196 Unter Bäumen I *
II-202 Unter Bäumen II
II-203 Felsen (Vier Riesen)
II-205 Gestürzt
II-208 Fichten (Artemis)
II-217 Unter Bäumen III *
II-239 ER-sie-es
II-245 Manneken Pis (Antwerpen) *
II-253 Füllhorn und leere Scheuer *
II-289 Torsi im Stadtpark *
II-273 Weidentorsi
II-277 Weiher
II-278 Feldweg
II-287 Waldsaum
II-292 Bergstraße *
Nach dem Sturm
II-131 Nach dem Sturm I *
II-132 Nach dem Sturm II *
II-140 Nach dem Sturm III *
II-141 Nach dem Sturm IV *
142 Nach dem Sturm V *
II-153 Nach dem Stunn VI *
Aus der Folge Gleichnisse
II-188 Gleichnis I *
II-222 Gleichnis II (Die Blinden) *
II-263 Gleichnis III (Eustachius) *
II-282 Begegnung (Bremer Iris) *
Aus der Folge Usadel
II-085 Usadel I *
II-087 Usadel III *
Verletzte Bäume *
(als Zusammendruck von 6 Platten)
II-115 Gestutzt – Verletzte Bäume I (vormals Vogelbaum)
II-116 Geborsten – Verletzte Bäume II
II-117 Verbogen – Verletzte Bäume III
II-118 Geköpft – Verletzte Bäume IV
II-119 Abgefressen – Verletzte Bäume V
II-120 Vernarbt – Verletzte Bäume VI
Zwölf Torsi *
(als Zusammendruck von 12 Platten)
II-172 Torso I (Buhnen)
II-173 Torso II (Stubben)
II-174 Torso III (Linde)
II-175 Torso IV (Strandgut)
II-176 Torso V (Buche)
II-179 Torso VI (Fichte)
II-180 Torso VII (Pappel)
II-181 Torso VIII (Strandgut)
II-182 Torso IX (Weide)
II-183 Torso X (Strandgut)
II-184 Torso XI (Weide)
II-185 Torso XII (Fichte)
III-070 Stadtpark nach dem Sturm
III-072 Straße nach Netzkater
III-075 Entwurzelte Buche
III-081 Bäume am Weiher
III-096 Neptun im Walde
III-108 Feldweg mit Weiden
III-109 Weidentorsi (Weißensee)
III-113 Weiher bei Milkel
III-130 Baumgruppe
[* ins Nachlassverzeichnis bei Private Künstlernachlässe eingetragen]
Aus der Laudatio von Ute Müller-Tischler zur Ausstellungseröffnung am 30. April 2016 | Kirche am Weg Gransee-Dannenwalde
Wenn man Künstler nicht mehr befragen kann, ist es wichtig an die Begegnungen zu denken, die man mit ihnen hatte – daran, was sie und ihr Werk uns bedeutet haben und heute noch bedeuten. So ist es auch mit Gerenot Richter, der in diesem Jahr 90 Jahre alt werden würde. In Dresden am 5. Dezember 1926 geboren, kam er 1944 mit nicht einmal 18 Jahren an die Westfront, später in Belgien und England in Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg nahm er ein Studium der Kunstpädagogik auf, das ihn bereits Anfang der 50er Jahre an die Humboldt-Universität zu Berlin führte. Das Institut für Kunsterziehung dort wurde seine berufliche Heimat. Hier wurde er promoviert und später zum Professor mit künstlerischer Lehrtätigkeit für Malerei und Graphik berufen. Bis zu seiner Emeritierung 1989 entstand ein umfangreiches Werkkonvolut mit über 400 Druckgraphiken und Handzeichnungen, das begeisterte Sammler fand und immer wieder in je unterschiedlich kuratierten Ausstellungen gezeigt wurde.
Auch nach seinem Tod vor 25 Jahren verstanden es immer wieder Retrospektiven, die Erinnerung an sein Werk wach zu halten und es einzuordnen – sowohl in die zeitgenössische Grafikkunst, aber darüber hinaus auch in die Kunstgeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Deutschland. Es war Peter H. Feist, der Gerenot Richter einst als einen „Romantiker mit scharfem Verstand“ bezeichnete und seinen Arbeiten einen außergewöhnlichen Rang in der Kunstgeschichte bescheinigte. Er hat ihn als einen Künstler beschrieben, der „ganz bewusst und mit guten Gründen künstlerische Traditionen bewahren und deren Werte lebendig halten“ wollte.
Mag sein, dass manche dies heute, vielleicht auch schon damals, eine konservative Bildsprache nennen würden. Aber so leicht hat er es uns nicht gemacht mit der Bewertung seiner Arbeit. Richter fühlte sich seit jeher vom Altmeisterlichen angezogen, hat es nachvollzogen, gespiegelt und angewendet. Aber gleichwohl hat er es kombiniert mit dem Widerständigen moderner Gestaltungsprinzipien. Nichts ist so klar in seinen dicht gestalteten Blättern, wie es auf Anhieb scheint. Im Gegenteil, je mehr man glaubt auf den ersten Blick alles gesehen zu haben, um so mehr verschließt sich die eigentliche Bildaussage. Der Betrachter sollte sich nicht mit einem flüchtigen, leichten Blick begnügen, sondern sich visuell anstrengen, das Geheimnis von Richters Bildsprache zu entschlüsseln. Diese ästhetische Erziehung lag ihm tatsächlich sehr am Herzen. Richter wollte – wie er es selbst einmal ausdrückte – die Lesbarkeit seiner Graphik bis ins tiefste Detail festlegen. Dem Betrachter sollte keine andere Wahl gelassen werden, als die Bildgründe wieder und immer wieder zu durchwandern. Das galt nicht zuletzt auch für den Künstler selbst, der sich beim Zeichnen häufig vom Zufall überrascht sah und auf neue Wege kam, die sich ihm dadurch eröffneten.
Wir müssen dem verehrten Gisold Lammel Recht geben, der das grafisch überbordende Gestaltungsprinzip als Richters „Horror vacui“ erklärte. Hier trifft sich dann auch dessen didaktische Mission mit dem Gestaltungsrausch eines begeisterten Künstlers. Das ist zweifellos kein Paradox. Indem er seine Bildflächen mit einem grafischen Netz versah, in das die einzelnen Objekte in den Bildgrund eingebettet waren – wie hinein gewachsen – scheinen sie zuweilen undeutbar in ihrer Eigenständigkeit und Zuordnung. Zum anderen kann man zu dem Eindruck gelangen, dass er seine helle Freude daran gehabt haben muss, uns seinen Blick aufzuzwingen. Er selbst war deshalb gezwungen, genau zu sein beim Radieren, und wir wiederum müssen es beim Hinsehen sein. Das war seine "Schule des Sehens". Und sie ist es bis heute. Wer in die detailstarken Bildmotive eintaucht, wird nicht umhinkommen, ihnen zu folgen bis hin an den Bildrand und wieder zurück in das grafische Zentrum.
„Insofern erlangt ein Grasbüschel die gleiche Aufmerksamkeit der Durchbildung wie ein ins Auge springender bedeutungsträchtiger Gegenstand des Bildes“, schrieb er einmal an eine Journalistin. Die Kunst von Gerenot Richter verweist damit tief in die klassische Bildtradition und grafische Technik von Albrecht Dürer und Martin Schongauer, deren Radierkunst ihn ein Leben lang als Vorbild beschäftigte. Im ganzen Ausdruck aber führen uns seine Grafikblätter dichter noch in die romantische Innerlichkeit und Weltenflucht. Formvollendet und bizarr durchströmt sie eine feine Aura der Melancholie, von der wir uns auch heute noch immer wieder gefangen nehmen lassen. Woher rührt diese Magie der Anziehung, habe ich mich gefragt? Liegt es an der meisterhaft ausgeführten Grafiktechnik, mit der Richter eine geheimnisumwehte Atmosphäre schaffen konnte wie nur wenige Grafiker seiner Zeit? Vielleicht Horst Hussel auf ganz andere Weise oder Walter Herzog, dessen druckgrafisches Werk diffiziler und offener ist. Aber Richter ging anders mit der Fläche um. Niemand wusste die vielen Ätzstufen so planvoll anzuwenden wie er, so dass Mezzotinto-Radierungen fast aquarelliert in ihren Hell-Dunkelwirkungen erscheinen konnten. Darin war er zweifellos ein Meister.
„Wer Richters Bildwelt folgen will, muss sich auf Meditation einstellen, dann wird er über die Lust an der kunstvoll dargereichten Illusion zu vielen Fragen kommen“, schrieb Gisold Lammel sehr treffend. Das scheint mir auch der Kern von Gerenot Richters Kunst zu sein. Dieser Kern lässt sie heute noch auf unnachahmliche Art frisch erscheinen und verbindet sie mit der Gegenwart, von der einige behaupten, dass wir uns grade in einer Epoche neuer Melancholie befinden, weil wir von der Wirklichkeit überfordert sind und keine Visionen mehr haben. Hier trifft sich das aktuelle Zeitgefühl mit der Weltsicht von Gerenot Richter, der uns eine Bildwelt des Umbruchs hinterlassen hat. Seine Motivwelt ist von ungestümen Landschaften, ruinösen Bauwerken und immer wieder knorrigen, alten Bäumen bestimmt. Sie sind das kreative Herzstück seines Schaffens, ein selbst definiertes Zeichensystem voller Gleichnisse für eine unüberschaubare Situation, mit dem er als Hochschullehrer ganze Generationen von Schülern beeinflusst hat.
In den sechs Kapiteln der aktuellen Werkschau, die Freunde und seine Familie zusammengestellt haben, kann man das außerordentlich gut nachvollziehen. Hier in der ersten Station, in der Kirche von Dannenwalde, haben wir es mit dem „Antlitz der Bäume“ zu tun, das sich einmal mehr, gleichnishaft für den Niedergang einer angeschlagenen Gesellschaft lesen lässt. Für mich gehören diese Arbeiten zu den schönsten, die Richter in den 80er Jahren hervorgebracht hat und die nach wie vor künstlerische Gültigkeit besitzen und überzeugen.
Die ein halbes Dutzend Blätter umfassende Folge „Nach dem Sturm“ (zu sehen auf der Empore) hat er angesichts der Sturmkatastrophe von 1980 geschaffen. Umgeknickte und entwurzelte Bäume, ins Bild ragende Äste zeichnen die verheerende Naturkatastrophe nach, von deren zerstörerischer Kraft er tief beeindruckt war. Die Welt war aus den Fugen geraten, Wälder waren zerstört, Baudenkmale in Trümmer gelegt. Was Gerenot Richter hier als Naturstücke zusammenfasst, die geborstenen Stämme und das gesplittete Holz sterbender Bäume, Zweige noch voller Blätter, dem Untergang geweiht, bildet eine unnachahmlich dichte „Poesie der Zerstörung“, an die wir von ihm ganz nah herangeführt werden.
Gleich eindrücklich sind die Blätter der „Großen Gleichnisse“, die er anschließend an die Folge „Nach dem Sturm“ radiert und thematisch weiter gefasst hat, indem er in die sonst unbeseelten Landschaften Bildfiguren und historisierende Zitate einfügte. Vergänglichkeit beschwörend, betörend mit ihrem Zauber vergehender Natur und kultureller Artefakte, gehören sie in eine Welt des Wandels – dessen umfassende Dimension er damals wohl nicht einmal ansatzweise ahnen konnte. Schöner als es Gisold Lammel in seinen Bildbeschreibungen der „Großen Gleichnisse“ formuliert, kann man es nicht wiedergeben:
„Diese Blätter bilden gewissermaßen die Quersumme von Richters Schaffen und sind mithin für ihn das, was für Dürer die 'Meisterstiche' gewesen sind. Aus ihnen spricht der besorgte Künstler, den eine tiefe Liebe zu Natur, Mensch und Kunst erfüllt hat. [...] In [ihnen] spielen Gedanken über das Geben und Nehmen in der Natur wie über das Leben nach einer Katastrophe eine Rolle.“
Gisold Lammel
Hier liegt das kreative Potenzial des Bedauerns und der Traurigkeit verborgen, das all seinen Arbeiten innewohnt und von dem eine existentielle Kraft ausgeht. Dafür müssen wir Gerenot Richter dankbar sein.
Ich wünsche den Ausstellungen zum Schaffen von Gerenot Richter viel Erfolg und ihren Besuchern viele beglückende Begegnungen
Abbildung: Gerenot Richter, WV II-131 Nach dem Sturm I, 1980
„Nach dem Sturm“ – Vom Antlitz der Bäume
Ausstellung vom 30. April bis 5. Juni 2016
Kirche am Weg / Rad-Wander-Kirche | Blumenower Straße 1 | 16775 Gransee-Dannenwalde
Laudatio: Ute Müller-Tischler (vorgetragen von Ekkehard Richter)
Musik: Dobrin Stanislawow (Panflöte)
Mit dem 30. April 2016 ist bei allen Ausstellung der Gerenot Richter–Werkschau ein Katalog verfügbar
50 Vorzugsexemplaren des Werkverzeichnisses der Druckgraphik und Handzeichnungen 1961 – 1989 liegt ein Nachdruck der Miniatur-Grafik „Friedhofslinde auf Rügen“ bei (1979). 6 x 7,5 cm, Werkverzeichnis-Nr. II-110).
Der Druck wurde von Helmut Müller, einem ehemaligen Schüler des Künstlers, übernommen.
Bei Interesse am Katalog (ab sofort für nur noch 10 € zuzüglich Versandkosten) nutzen Sie bitte unser Kontaktformular für eine Bestellung.
Ab Mitte der 1970er Jahre konzentriert sich Gerenot Richter technisch ganz auf die Radierung – die Lithografie gibt er vollkommen auf – und motivisch auf die Natur- und Kulturlandschaft. Es ist eine Zeit, in der viele Künstler zu einer subjektiveren Sichtweise auf die Realität und eine noch differenziertere Bildsprache fanden. Für die Literatur, in der sich eine ähnliche Tendenz abzeichnete, sprach man immer häufiger von „Neuer Subjektivität“ und „Neuer Sensibilität“.
Diese Konzentration auf die Radierung und die neuen Bildmotive ging bei Gerenot Richter einher mit dem verstärkten Bezug zu älterer Kunst. Dabei inspirierten ihn anfangs besonders die Landschaftsradierungen des Chodowiecki-Schülers Carl Wilhelm Kolbe d.Ä. (1759-1835). Hier übernahm er die besondere Vorliebe auf für die Darstellung von Bäumen und einer üppigen Pflanzenvegetation. Bestätigung fand er in den Werken der Renaissance-Künstler, vor allem und immer wieder bei Albrecht Dürer und dessen „Staunen“ über die Natur, aber auch bei Albrecht Altdorfer und Martin Schongauer. Wahlverwandte sieht er aber auch in Giovanni Battista Piranesi, Hercules Seghers, Pieter Bruegel, Rudolphe Bresdin, Charles Méryon, Horst Jansen, Ernst Barlach und Gerhard Marcks.
Richter ging in seinem gesamten Werk vom Realismus aus, abstrahierte dann aber nicht in Richtung Gegenstandslosigkeit, sondern addierte surreal verschiedene Bildelemente und Zeiten. Dabei zeigte er sich als ehrfürchtiger Betrachter und Teilhaber der beseelten Natur und steht in dieser spirituellen Durchdringung der Landschaft der Geisteshaltung der Frühromantiker nahe. Das Erhabene ist in allen Dingen und Lebewesen. Damit können diese Grafiken auch als eine bewusste Reaktion auf die Zerstörung von Natur und Landschaft und deren auslösendes Erlebnis in den vorhergegangenen Grafiken „Nach dem Sturm“ gesehen werden.
In den Niederlanden begannen die Künstler im Spätmittelalter präzise Skizzen von Händen und Gesichtern, von Insekten und Blättern anzufertigen, um der Realität möglichst nahezukommen. In Deutschland strebten die Künstler nach Naturalismus und räumlicher Tiefe. Die detaillierte Darstellung der Pflanzwelt fand Eingang in die Bildmotive. So wurde der Spitzwegerich erstmals detailliert dargestellt in Stefan Lochners Dreikönigsaltar, auch Altar der Kölner Stadtpatrone und schließlich Kölner Altarbild genannt, entstanden um 1445 ursprünglich für die Rathauskapelle.
Neben der Darstellung von Bäumen ist es auch die von alltäglichen, unspektakulären Pflanzen, die Richter als faszinierten Naturbeobachter zu seiner empathischen Kunst führte – eine intellektuelle Künstlerschaft inspiriert vom Humanismus. Gerade in der Kunst des Mittelalters und dann der Renaissance hatte die Wahl der Pflanzen, die man darstellte, immer auch eine symbolische und metaphorische Bedeutung. Oft waren es Pflanzen, die als Heilpflanzen wirkten (das Grassieren der Pest dauerte noch an oder war gerade erst überwunden), die aber, falsch genutzt, bei einigen Kranken auch zum Tode führten. Solche Kenntnisse bzw. Überlegungen mögen auch bei Richters Pflanzendarstellung eine Rolle gespielt haben. Bei ihm sind es oft breitblättrige Pflanzen, wie die Pestwurz, die oft an Bach- und Flussufern zu finden ist und die von den Menschen im Mittelalter gegen die Pest eingesetzt wurde. Dann die Klette oder die Brennnessel, landläufig Unkrautpflanzen, die jedoch ebenfalls Heil bringend wirken, wie Lochners Spitzwegerich. Dazu kommen Blühpflanzen, wie der Fingerhut, der Ritterstern und die Iris, die Lilie, die Lieblingsblume Richters. Einzeln oder in Gruppen können sie dann auch zu einem dominierenden Motiv werden.
Liegt in den Hommage-Blättern noch der Schwerpunkt auf Motiven und biografischen Bezugspunkten der Gewürdigten, werden Richters Gleichnisse ganz entscheidend in Reaktion auf die Sturmbilder zu prallen Pflanzenschauen, zu einer überbordenden Darstellung der realen Flora. Für Ersteres stehen die Grafiken zu Dürer, Gerhard Marck, Andrea Mantegna, Martin Schongauer, Albrecht Altdorfer oder schließlich Georg Friedrich Kersting.
In den größeren Radierungen der Gleichnisse schloss er an diese Würdigungszeremonie an. So verwendete er in seinem II. Gleichnis, einer Grafik zum Gedenken an den Komponisten Gustav Mahler, Motive von Pieter Bruegel, Egon Schiele und René Magritte.
Der Anlass für diese großformatigen Radierung aus dem Jahre 1984 war der 100. Geburtstag der „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die Gustav Mahler 1884 komponiert hatte. Mahler, einer der Lieblingskomponisten Richters, sagte über sich, er sei „[…] dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude unter allen Nationen der Erde.“
In seinem Werk „Ging heut’ morgen übers Feld – Gustav Mahler 1884“ stellte Richter diesen großen Komponisten nicht nur in einen universellen kulturellen Zusammenhang, er verortete ihn auch darin und gab ihm damit eine „ewige“ Heimat, denn rechts in der Grafik zeigte er zusätzlich Mahlers Grabmal auf dem Grinzinger Friedhof, entworfen von Josef Hoffmann, links im Hintergrund das barocke Stift St. Florian, hier war Mahlers Lehrer, der Komponist Anton Bruckner, tätig und ist hier beerdigt. Durch diese universelle Einbindung mit den verschiedensten Querverweisen werden diese Werke Richters ebenfalls zu Werken mit Gleichnis-Charakter.
Analog stellte er in „Gleichnis I“ (1983) das Werden dem Vergehen in der Natur gegenüber und erzielte mit ähnlichem Bildaufbau in dem großformatigen Blatt „Der ungetreue Hirt – Hommage à Bruegel“ (1984/85) mit Bruegels Figur des ungetreuen Hirten aus dem Johannesevangelium, eine gleichartige Wirkung.
In beiden Blättern verwendete Richter Bildmotive, gefunden auf seinen Reisen auf den Darß (Teil einer Halbinsel an der südlichen Ostseeküste Deutschlands) bzw. nach der Sturmkatastrophe im Park von Hohenrode. So ist es auch in einer weiteren an Bruegel anknüpfenden Grafik, dem „Gleichnis II – Die Blinden“ von 1985/86. Hier fügte er die Figurengruppe aus Bruegels „Der Sturz der Blinden“ von 1568 ein und natürlich wieder Eindrücke aus dem Park von Hohenrode in Nordhausen. Die Metapher des Vergehens, des Untergangs wird so doppelt zum Menetekel. Immer wieder Hohenrode, das Bild der Katastrophe, lässt ihn als Bild für ein immerwährendes Verhängnis nicht los.
Mittlerweile ist die Erkenntnis Konsens, dass auch Naturkatastrophen auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben und das künstlerische Schaffen erhebliche Nachwirkungen zeitigen können. Obwohl die Sturmkatastrophe von Hohenrode bei Richter eine ganze Grafikfolge beeinflusste, bewirkte sie bei ihm in der Folge keine Horrorvisionen, keine Neuauflage einer „schwarzen Romantik“, kein Abgleiten in einen, wie auch immer gearteten Pessimismus. Zwar tauchen immer wieder Baumruinen auf, aber auch immer wieder teilweise überschäumendes Pflanzenwachstum.
1988, in der „Begegnung – Bremer Iris“, radierte er links im Vordergrund ein ganzes Beet von Schwertlilien, überragt von der Iris aus Albrecht Dürers „Aquarellstudie“, die sich in der Bremer Kunsthalle befindet. All diese Lilien sind Variationen, Wiederholungen und es sind eigentlich zu viele.
Nur mit der Erfahrung von Hohenrode ist dieses „Zuviel“ zu erklären und natürlich ist dann auch diese Blume Zeichen und Symbol: Die Iris, auch Schwertlilie, gilt als Herrschafts- und Glaubenssymbol, aber auch als Sinnbild für verschmähte Liebe. Wandelt deshalb das Dürersche Bauernpaar darüber, gestikulierend im Gespräch oder gar im Streit vertieft den Feldweg entlang? Keine Pflanze hat über einen längeren Zeitraum eine solch wichtige Rolle in der Blumensymbolik gespielt. Richter folgte in dieser Symbolträchtigkeit seinen Vorbildern und Wahlverwandten in der Kunstgeschichte. Auch sie hat neben ihrem Blütenzauber Heil bringende medizinische Wirkung, wie viele der anderen von Richter dargestellten Pflanzen.
„Da steht von schönen Blumen / Die ganze Wiese so voll.“ – dichtete Goethe in „Schäfers Klagelied“. Auch bei Goethe sind Blumen in seinen Versen nicht unbedingt reale Pflanzen, es sind vielmehr, jedenfalls häufig, Zeichen und Symbole. Zeichen für die Liebe, Schönheit, Hoffnung – Aufblühen. Auch die alten Weiden, ein immer wiederkehrendes Motiv bei Richter, sind solch ein Zeichen. Aus einem alten knorrigen Stamm treiben immer wieder neu Zweige aus. Und Richter fügt noch ein weiteres Symbol links neben dem wandelnden Bauernpaar ins Bild ein. Dort grasen friedlich einige Rinder und die Kuh gilt doch in vielen Kulturen als Symbol der Fruchtbarkeit, Reichtum, Segen, Fülle und Wohlstand.
Diese Grafiken sind aufgebaut wie Collagen, in denen ein Vordergrund über einen Hintergrund gebreitet wird und dieser an einigen Stellen durchscheint. In einem Blatt wandelt auf einem Weg das Paar aus Albrecht Dürers „Der Bauer und seine Frau“ von 1496/97. Hier manifestiert sich der universelle Anspruch, den Richter in seinem Werk bewahren will: Die alte Zivilisation, alte Kulturen werden im stetigen Werden weitergeführt und bewahrt. Umgekehrt gesehen kann die Natur das Menschenwerk in Form der Kunstzitate, der Architekturruinen, der gestürzten Pilaster und Säulen überwuchern. „Ein Geschlecht geht, und ein Geschlecht kommt; / und die Erde bleibt ewig bestehen.“.
Wie ein Vermächtnis erfüllt sich das in seiner letzten großformatigen Radierung 1989 „Herbstlicht – für Ingeborg“.
Schon stark beeinträchtigt von schwerer Krankheit überäzt Richter die Druckplatte und es kommt dadurch zu einem flauen Abdruck. Als hätte es so sein müssen, wird dadurch der melancholische Gehalt dieser Grafik noch gesteigert. Gewidmet hat es der Künstler seiner Frau. Hineingefügt in ein Motiv des Parkes von Schloss Neschwitz, dessen gesamte Anlage zu den kulturhistorisch bedeutsamen Schlossanlagen der Lausitz zählt, ist Ernst Barlachs „Schlafendes Bauernpaar (Schlafende Vagabunden)“ von 1912, eine Figurengruppe, die für ihn und seine Frau große Bedeutung hatte.
In den großformatigen Werken Gerenot Richters verwirklicht sich der ganze bildkünstlerische Kosmos, den er im Verlaufe seines Schaffens herausgebildet hat. In allen diesen Blättern hob er die naturalistische Darstellung der Motive auf eine höhere surreal-symbolische Ebene.
Der Text wurde entnommen aus:
Hommage an Gerenot Richter – Werkschau in 6 Kapiteln
UM:DRUCK – Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur, Wien 2016
Der Baum ist ein universelles Symbol in vielen Kulturen. Um diese Symbolik zu begreifen, muss man die Bäume sehen und erleben im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten.
Gerenot Richter hat das immer wieder bei seinen Aufenthalten in der Natur getan. Still stehen sie, in der Erde verwurzelt, voller Leben, immerfort wachsend, mit allen Elementen in Verbindung stehend, sich mit der Krone gen Himmel reckend, so Erde und Himmel verbindend, Sinnbild für das Leben und für Schutz und Behütetsein. In den Bäumen und dann auch in der reichen Pflanzenwelt sieht Richter, der Naturliebhaber, der nicht religiös gebunden ist, etwas Erhabenes, Ewiges, Verehrungswürdiges.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1980 fegten orkanartige Stürme über weite Teile Thüringens und den Südharz und auch die am Rande von Nordhausen gelegene Parkanlage Hohenrode. Dieser Park ist die größte historische Parkanlage aus dem 19. Jahrhundert in der Stadt, angelegt von dem Gartenkünstler Heinrich Siesmayer im englischen Landschaftsstil. Hohenrode, das bei den schweren Bombardierungen, die Nordhausen 1945 stark zerstörten, vollständig verschont geblieben war, wurde bei dieser Sturmkatastrophe sehr in Mitleidenschaft gezogen. Große Bäume wurden aus dem Boden gerissen, umgeknickt, seltene Baumsorten und Architekturdenkmale beschädigt. Bis 1981 dauerten die Aufräumarbeiten.
Richter sieht die Zerstörungen unmittelbar nach dieser verhängnisvollen Nacht und sie müssen ihn, den intensiven Naturbeobachter und Naturliebhaber, tief erschüttert haben. Er zeichnete und radierte bis 1982 die sechs großformatigen Blätter „Nach dem Sturm“. In diesen spürt man förmlich den Schmerz über dieses Geschehen, hört das Geräusch des splitternden Holzes, das kreischende Krachen der umstürzenden Bäume, das dumpfe Poltern zusammenstürzender Bauwerke, das Zerschellen herabstürzender Ziegel, den peitschenden Regen und das Tosen des abziehenden bzw. abgezogenen Sturmes, die beängstigende Stille danach. Groß ragt die verwundete Natur in all ihrer endzeitlichen Stimmung voller Dramatik auf vor dem unheilschwangeren gleichmäßig dunkelgrauen Himmel.
Auch wenn in Richters Bildern keine menschlichen Opfer zu sehen sind, lässt diese apokalyptische Stimmung besonders im Blatt I der Folge auch Assoziationen zum Mittelteil von Otto Dix’ Triptychon „Der Krieg“ (1929-1932) zu. Hier steht die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ im Fokus, bei Richter eine Naturkatastrophe, aber auch die Ahnung von weiteren Katastrophen. Manche der zerschmetterten Bäume werden sogar zum Kreuzbaum, Sinnbild für das Leiden, für das kosmische und biblische Mysterium.
Gerenot Richter hat sich auch schon vor dieser Folge mit der Darstellung der Natur, von Flora und Fauna, in ihrer üppigen Vielfalt wie mit ihrem Verfall in der Darstellung von Rudimenten und von verletzten Bäumen beschäftigt. In dieser Folge aber steht ganz im Mittelpunkt das Thema, mit dem sich alle großen Kunstwerke der Welt beschäftigen: der Vergänglichkeit allen Lebens. Sie nimmt damit eine Schlüsselstellung im Werk des Künstlers ein. Von nun an lässt ihn diese Zuspitzung des Themas nicht mehr los, zur naturgegebenen Vergänglichkeit kommt das Vergehen durch andere Ursachen. Es ist auch diese Ahnung des Künstlers, die hier schon bildhaft wird.
Seine Befürchtungen vor einem Atomkrieg mögen hier hineingespielt haben. Ende 1979 fasste die NATO ihren Doppelbeschluss und nach der Entspannung der 1970er Jahre kam es durch den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan zu einer erneuten Verschärfung des Kalten Krieges. Das Baumsterben wurde wenig später zum Thema, wenn auch in den gesellschaftlichen Debatten in der DDR nur sehr eingeschränkt. Aber gerade solch ein intensiver Beobachter wie Gerenot Richter, musste diese Beobachtungen und Veränderungen geradezu seismographisch wahrnehmen.
Die Folge auf einen Blick anschauen:
Der Text wurde entnommen aus:
Hommage an Gerenot Richter – Werkschau in 6 Kapiteln
UM:DRUCK – Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur, Wien 2016
Kirche am Weg / Rad-Wander-Kirche,
Blumenower Straße 1, 16775 Gransee-Dannenwalde,
30. April – 5. Juni 2016
Die erste Ausstellung ist in der Kirche am Weg (auch Rad-Wander-Kirche) in Dannenwalde nördlich von Berlin zu sehen. Diese relativ kleine Kirche wurde 1821 vom Baumeister Hermann (1784-1842) aus dem nahen Zehdenick, einem Schüler Gillys bzw. Schinkels, im neugotischen Stil erbaut. Der eigenwillige, klar gegliederte Bau mit seinem langgestreckten achteckigen Grundriss wird heute neben den Gottesdiensten durch einen Kulturverein auch für Kulturveranstaltungen und Ausstellungen im Kirchenraum und auf den Emporen genutzt.
Dieser Kirchenraum ist der ideale Ausstellungsort für Richters existenzialistische Grafikfolge „Nach dem Sturm“, die den Schwerpunkt dieser Ausstellung bildet. Dazu kommen weitere Grafiken und Zeichnungen, in denen Bäume ein zentrales Bildmotiv darstellen, wie bei Blättern aus der Hommage-Folge und der Folge der „Gleichnisse“.
Domgalerie, Domplatz 3, 15517 Fürstenwalde,
1. Juli – 28. August 2016
In den 1980er Jahren entstanden Richters Hommage-Grafiken und die Gleichnisse. Gezeigt werden sie in der Domgalerie unmittelbar neben dem Dom der Kleinstadt Fürstenwalde nordöstlich von Berlin.
Beide Thematiken, jeweils teilweise in Folgen zusammengefasste Einzelgrafiken, haben viel gemeinsam: Den dicht gedrängten Bildaufbau, oft simultane Szenerien und obwohl manchmal gleichzeitig entstanden, bauen sie aufeinander auf, so bilden die Gleichnisse einerseits die gestalterischen Fortsetzungen der Hommage-Grafiken, anderseits überschneiden sie einander. Dann sind einzelne Hommage-Blätter gleichzeitig Gleichnisse und umgekehrt.
In all diesen Grafiken nimmt Gerenot Richter in unterschiedlicher Weise Bezug auf seine künstlerischen Vorbilder, bekennt sich zu seinen Wahlverwandten, sei es, indem er Motive aus Werken dieser Künstler in seine Bildgestaltung einfügt oder indem er deren Gestaltungsweise folgt.
Humboldt-Universität zu Berlin, Hauptgebäude Lichthof Ostflügel,
Unter den Linden 6, 10177 Berlin,
25. Oktober – 16. November 2016
Immer wieder widmet sich Gerenot Richter der Darstellung seiner Stadt Berlin als Stadtlandschaft. Besonders interessiert ihn dabei die historische Mitte, das kulturelle Zentrum, war doch hier auch sein langjähriger Arbeits- und Wirkungsort am Institut für Kunsterziehung der Humboldt-Universität mit Blick über die Spree auf die Museumsinsel.
Schildert er in den Lithografien und Radierungen aus den Anfangsjahren den Auf- und Wiederaufbau der Stadt fast dramatisch, in einer oft düsteren Stimmung, sind es später markante Bauwerke als historische Zeugnisse, jetzt atmosphärisch detailgenau und in teilweise panoramahaften Raumproportionen.
Hinzu kommen Impressionen von Städten, die vor allem im Zusammenhang mit seiner Lehrtätigkeit bei den Pleinairs und Praktika mit seinen Studenten entstehen, wie Hoyerswerda mit den Braunkohletagebauen und Warnemünde mit der Küstenlandschaft, sowie von Reisestationen, wie Leningrad, Moskau, Budapest und Nowgorod. Von vielen dieser Reisen bringt er, Schnappschüssen gleich, solche Impressionen mit, in denen die Stadtsilhouetten immer wieder eine große Rolle spielen: Putbus, Rostock, Wismar, Dresden und Brügge.
Ausstellung in der Galerie 100, Konrad-Wolf-Straße 99, 13055 Berlin,
23. November 2016 – 11. Januar 2017
Einsichten und Eindrücke, die Gerenot Richter auf seinen Reisen sammelt, finden immer wieder in unterschiedlicher Weise ihren Niederschlag in seinen Bildern. Neben privaten Reisen sind es die Praktikumsfahrten mit seinen StudentInnen.
Zu einer ganzen Bildersuite in Einzelblättern und Folgen zählen die Landschaftsgrafiken von der Ostseeküste, ob nun von der Insel Rügen oder von der Halbinsel Fischland-Darß um das Künstlerdorf Ahrenshoop. Dabei knüpfte er in den Küstenbildern der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, zusammengefasst in der Strandläuferserie, an die heroische Landschaftsdarstellung an. Gezeigt werden diese Grafiken in der kommunalen „Galerie 100“ in Berlin-Lichtenberg.
Die Steilküste mit ihren schroffen Landschaftsformen und generell die Küstenlandschaften erinnern an die kantigen Formen der traditionellen Meeres-, Gebirgs- oder Waldlandschaften. Groß, gewaltig, urtümlich und fantastisch stellt Gerenot Richter Natur und Landschaft gegen die Menschen, die meist klein als Strandläufer unten in der Tiefe oder in der Ferne zu sehen sind. Er knüpft in diesen Grafiken ganz bewusst an die heroische Landschaftsdarstellung an, wie sie sich ab dem 17. Jahrhundert entwickelt hat. Der Mensch wird zurückgenommen, die Natur dominiert.
Nur idealisiert Richter die Landschaft nicht, er schildert sie mit einem detailreichen Realismus und mit fast topografischer Genauigkeit. Selten fügt er antikisierende Elemente ein, wie in „Strandläufer VII“ von 1981 einen Nike-Torso, angelehnt an die „Nike von Samothrake“ aus dem 2. Jahrhundert vor Christus. Die fehlenden Schwingen ersetzen die Flügel einer Möwe, die von der Figur aus zum Flug ansetzt. Der Gleichnis-Charakter der späteren Werke deutet sich in solchen Grafiken schon an. Das Motiv der Strandlandschaft spielt außerhalb dieser Folge in vielen Radierungen Richters eine Rolle.
Galerie im Neuen Rathaus, Kunstverein Templin e.V., Prenzlauer Allee 7, 17268 Templin,
21. Januar – 15. März 2017
Diese Ausstellung spannt einen Bogen vom Früh- bis zum Spätwerk des Künstlers, lässt damit seine bildkünstlerische Entwicklung deutlich werden. Richters realistische Wiedergabe der heimatlichen Landschaft entwickelte sich über einen klassischen und dann durchaus auch romantischen Realismus hin zu einer realistischen, metaphorisch aufgeladenen Landschaftsdarstellung.
Grafik Studio Galerie, Rigaer Straße 62, 10247 Berlin,
31. März – 28. April 2017
In der kleinsten Galerie der Ausstellungsreihe werden Gerenot Richters Miniaturgrafiken gezeigt. Der Künstler beherrscht in seinen Radierungen nicht nur das relativ große Bildformat, sondern auch das kleine Format, die Miniatur. Dabei kann er durchaus, wie in den großen Formaten, auch in diesen Miniaturbildern ganze Bildgeschichten erzählen oder zum Beispiel Stadtlandschaften darstellen.
Fast alle Motive, die er in den großen Formaten abhandelt, sind auch hier zu finden, präzise bis ins Detail. Aber in diesen Miniaturen finden sich auch Einzelmotive, wie der Baum. Damit können diese Kleingrafiken auch wie Studienblätter zu den großen Grafiken anmuten.
Ein Text des Kunstwissenschaftlers Volkhard Böhm
„Werkschau in 6 Kapiteln“ nennen die Veranstalter eine Hommage an den Berliner Grafiker Gerenot Richter anlässlich seines 90. Geburtstages und 25. Todestages im Jahr 2016. Die Ausstellungsreihe wird in sechs Galerien in und um Berlin vom Mai dieses Jahres bis zum April nächsten Jahres gezeigt. Sie folgt keinem chronologischen Prinzip, sondern ist nach Werkgruppen geordnet.
Gerenot Richter, am 5. Dezember 1926 in Dresden geboren, war ein Meister der Radierung. Von 1949 bis 1953 absolvierte er ein Lehrerstudium für Kunsterziehung und Geografie in Dresden, Leipzig und schließlich Berlin. In Berlin, an der Humboldt-Universität, begann er 1955 seine Lehrtätigkeit am Institut für Kunsterziehung, promovierte 1957, 1971 wurde er zum Professor berufen. Zwischenzeitlich, von 1962 bis 1965, studierte er noch an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee. Kurz nach seiner Emeritierung verstarb der Künstler nach schwerer Erkrankung am 5. Januar 1991 in Berlin.
Richter begann sein Schaffen nicht nur als Druckgrafiker sondern auch als Maler. In seiner Druckgrafik dominierte anfangs die Lithografie, aber schon bald wurde der Tiefdruck in all seinen Spielarten sein eigentliches Metier. Die Zeichnung begleitete sein gesamtes Œuvre. Sein gesamtes Werk, besonders aber die Radierung, ist von einer klaren, detaillierten, realistischen Bildsprache bestimmt.
Vermutlich wird kaum ein Besucher dieser Ausstellungsreihe alle Ausstellungen besuchen können. Da aber zum jeweiligen Schwerpunktthema weitere Werke gezeigt werden, kann schon der Besuch einzelner Ausstellungen einen Überblick über das Gesamtschaffen vermitteln. Richter offenbart sich darin als Erzähler, als Chronist, als Philosoph und manchmal auch als Metaphysiker.
Trotz der Verwendung unterschiedlicher Ausdrucksmittel und Zeiten bilden seine Bilder eine Einheit. Obwohl er in vielen seiner Werke auch im Künstlerisch-Artistischen schwelgt, ist sein Œuvre frei von Stilakrobatik, frei von ideologischem Rationalismus, frei von „avantgardistischem“ Gepränge und auch frei von poetischer Beliebigkeit. Als Naturbeobachter schuf Richter, inspiriert vom Humanismus und einer intellektuellen Künstlerschaft, eine empathische Kunst in Bildern, in denen auch unaufdringlich das Pädagogische eines geistreichen Lehrers mitschwingt. Mit Euphorie und auch Pathos „umarmt“ er das Universum in einer Synthese von Dichtung und Intellekt, in der sich Phantasie und Sachlichkeit durchdringen. Dieser Künstler ist ein Dichter.
Die ausführliche Besprechung der Werkschau unter dem Titel „Werkschau in 6 Kapiteln – Eine Hommage an Gerenot Richter“ von Volkhard Böhm erscheint demnächst in der österreichischen Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur UM:DRUCK.
Abbildung: Gerenot Richter WV II-132 Nach dem Sturm II, 1980
„Ich lebe schon seit meiner Jugend, seit seiner Ausstellung in der Kleinen Galerie im Keller in Potsdam (1981), mit zwei Richtergrafiken zusammen, und ich habe während der Sicht Ihrer Seiten, jetzt eine dritte Grafik gefunden, die ich erworben habe, ich hoffe, sie trifft heute noch bei mir ein …
Beeindruckt von der präzisen Wahrnehmung von Natur in allen möglichen Varianten (Werden und Vergehen!) war Gerenot Richter für mich wegweisend gewesen und begleitete meine Anfänge als Künstlerin. Ich studierte von 1982 – 1987 Grafik an der HGB in Leipzig und heute ist es die Plastik, die mein Leben als Künstlerin bestimmt.
Den Blick für die Natur und eine Freude daran, habe ich noch immer und so könnte seine Antwort auf Kritik über „Detailliebe“ auch von mir stammen. Auch ich muss mich wehren, da heute das allein Abstrakte Gültigkeit zu haben scheint, doch, wer genau hinschaut sieht Abstrahiertes auch bei Richter! Sein zersplitterndes Holz z.B. ist durchaus in seiner Wirkung ähnlich den faszinierenden „Schlieren“ eines Gerhard Richter… Die selbstverständliche, leise Kombination von Beidem ist es, was mir an vielen von Gerenot Richters Arbeiten so gefällt!“
Maren Simon (*1962) ist eine Malerin, Bildhauerin und Zeichnerin aus Potsdam
I-16 Förderbrücke
I-19 Speicher am Hafen
I-21 Hafen in Warnemünde
I-25 Tagebau (Abbildung für diesen Beitrag)
I-38 Königshorn Glowe
I-39 Aufbau Berliner Stadtzentrum I
I-45 Die neue Silhouette I
II-034 Bautzen *
II-041 Rügen ́74 (terra mater) *
Die Folge Strandläufer *
II-061 Strandläufer I
II-062 Strandläufer II
II-063 Strandläufer III
II-064 Strandläufer IV
II-065 Strandläufer V
II-066 Strandläufer VI
II-138 Strandläufer VII
Dürer zum 450. Todestag
II-075 Der Traum des Podagristen *
II-077 Das Meerwunder *
Berlinansichten
II-083 Museumsinsel *
II-223 Berliner Mahnmal *
II-242 Drei Grazien *
II-261 Die neue Friedrichsbrücke II *
Folge Usadel
II-086 Usadel II *
Nach dem Sturm
II-131 Nach dem Sturm I *
Gleichnisse
II-188 Gleichnis I *
II-210 Der ungetreue Hirt *
II-282 Begegnung (Bremer Iris) *
II-304 Herbstlicht *
II-100 Fragmente (Zusammendruck 2 Platten) *
II-102 Im Schloßgarten
II-103 Die Versuchung
II-134 Mondnacht II
II-137 Landschaft mit Weide
II-157 Schloß Burgk (Saalebrücke)
II-196 Unter Bäumen I *
II-199 Stilleben mit Tuch – für K.K. *
II-209 Sommer mit M.S. *
II-256 Gemäuer *
II-302 Strandläufer
II-303 Bautzen
[* ins Nachlassverzeichnis bei Private Künstlernachlässe eingetragen]
Aus der Laudatio von Helmut Müller zur Ausstellungseröffnung in der „Galerie Helle Panke“, Berlin 2011
Unsere Ausstellung … zeigt ausgewählte Blätter aus drei Jahrzehnten, bis auf wenige Ausnahmen auf die drei Ausstellungsräume geordnet. Diese Gliederung folgt weitestgehend der künstlerischen Entwicklung Gerenot Richters. In der ersten Periode integriert sich Richter völlig in den Stil der Zeit (1960er Jahre) und in der zweiten erreicht er mit der zunehmenden Individualisierung in der Kunst der DDR auch die Vollendung seines eigenen Individualstils (1970er Jahre). Dieser künstlerische Entwicklungsprozess ist bei ihm zunächst ein Vorgang der Beschränkung, der zunehmenden Konzentration auf die Technik der Radierung; Ölmalerei, Aquarelle, Gouachen und Lithographien gibt es von ihm nur bis zum Beginn, vereinzelt bis zur Mitte der 1970er Jahre.
In den Zeichnungen und Radierungen dieser zweiten Periode zeigt sich eine Übergangsphase, eine Zeit des Suchens und Experimentierens, in der sich der neue Stil herauskristallisiert und der dann in den 1980er Jahren seine Vollendung erreicht. Das ist die Zeit, in der die Meisterwerke entstehen, die man mit dem Namen Gerenot Richter verbindet. 1983 entstand das erste der „Gleichnisse“, dann jährlich mindestens ein weiteres dieser großen Blätter und nebenher noch eine Fülle kleinerer bis kleinster Radierungen. Diese Gleichnisse bilden meist den Schwerpunkt, das Kernstück jeder Richter-Ausstellung, auch wir bekommen vier davon zu sehen.
Die Ausstellung zeigt Landschaftsdarstellungen aus drei für Richter wichtigen geographischen Gebieten, die sich wie ein roter Faden durch seine gesamte Schaffenszeit verfolgen lassen:
1. Lausitz,
2. Ostseeküste und
3. Stadtlandschaft (insbesondere Berlin).
Ausstellung vom 15. November 2011 bis 20. Januar 2012 in der Galerie „Helle Panke“
Vernissage
Einführung: Helmut Müller
Musik: Christian Raudszus (Violincello)
Auszug aus einer Ankündigung zur Ausstellung der Galerie am Schloss Senftenberg anlässlich des 80. Geburtstags von Gerenot Richter
In ihrer letzten Ausstellung des Jahres 2006 zeigt die Galerie am Schloss des Senftenberger Museums einmal mehr einige Bestände aus der museumseigenen Kunstsammlung Lausitz. Im Mittelpunkt dabei steht Gerenot Richter, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden wäre und dessen 15. Todestages wir gedenken.
Der Berliner Grafiker Gerenot Richter war in seinem über 30-jährigen Schaffen eng mit der Lausitz verbunden. Deshalb richteten sich die Sammlungsbemühungen der Kunstsammlung Lausitz frühzeitig auf ihn, so dass um 1990 bereits etwa 20 Kaltnadelradierungen erworben werden konnten. Durch eine großzügige Schenkung der Witwe des Künstlers, Ingeborg Richter, gelangten in den vergangenen Jahren weitere 41 Lithographien, Radierungen, Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen und Gemälde in die Sammlung. Den gesamten Senftenberger Werkbestand Gerenot Richters beinhaltet die aktuelle Ausstellung.
Als Professor an der Berliner Humboldt-Universität bildete Gerenot Richter Kunstlehrer aus. Mit seinen Studenten war er oft in der Lausitz unterwegs, um während künstlerischer Praktika den landschaftlichen Schönheiten und der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Landstrich seit den 60er Jahren nachzuspüren. In seiner eigenen bildnerischen Tätigkeit wurde Richter damit u. a. Zeitzeuge der Braunkohleindustrie und des Aufbaus der Neustadt Hoyerswerdas, dokumentiert in einem großen Werkkomplex der 60er und frühen 70er Jahre.
Ein Grafikkonvolut aus den späten 80er Jahren, in denen Richter ausschließlich druckgrafisch arbeitete, zeigt den Künstler auf der Höhe seines Schaffens. Sein altmeisterlich ausgerichteter Personalstil war vollständig ausgeprägt, und mit dem großen Aquatintablatt "Gleichnis III (Eustachius" von 1987 z. B. erreichte Gerenot Richter einen Gipfelpunkt seiner Meisterschaft.
Die Ausstellung in der Galerie am Schloss ist bis zum 14. Januar 2007 zu sehen.
Abbildung: Gerenot Richter, WV II-256 Gemäuer, 1986, Kaltnadel, 33 x 42 cm