Nachdem „Der ungetreue Hirt“ und die „Blinden“ als Bruegel-Hommage herhalten mussten, habe ich nun endlich mein „Wahlblatt“ von A.D. [A. Dürer], den „Heiligen Eustachius“, in meine kaputte Welt eingebaut. Allerdings scheute ich diesmal die Mühe des Spiegelverkehrten, so dass die Kopie billig ist. Aber ich wollte genau nachvollziehen. Und ich habe wieder unheimlich viel gelernt – und auch die Ehrfurcht vorm Meister ist enorm gewachsen. Mit einer gewissen Konsequenz – zu ungunsten der Bildeinheit – habe ich die Gegenständlichkeit mit Dürerschen Rhythmen geformt. Vieles blieb dabei Stückwerk, weil der Mut zum Risiko fehlte (so etwa bei der Behandlung der großen Schlossruine und der Plastik) und Strichelei statt Formstrich vorherrscht. Ansonsten war ich mit Freude bei der Sache, wenn Augen und Nacken auch recht zu leiden hatten. Leider kann ich nie in einem Guss arbeiten, da mich die Uni nach wie vor auffrisst. […]
Aus einem Brief
Gerenot Richter an den Kunsthistoriker Matthias Mende (07.06.1987)
Ich liebe das Schwarzweiß der Grafik mehr als die Farbe, kenne jedoch das Bedürftnis eines bestimmten Publikums nach Farbgrafik, das nicht allein künstlerischer Natur ist. (Der „normale“ Kunstverbraucher, der sich Grafik kauft, scheut – wenn er an die Schmuckfunktion für die eigene Wohnung denkt – vor dem reinen Schwarzweiß zurück. In diesem Fall wird die Nähe zur Malerei gesucht.) […]
Zur einer Anfrage
Gerenot Richter an die Kunsthistorikerin Ingrid Möller (1979)
Die vom Sturm verwüsteten Parks und Wälder in und um Nordhausen sah ich während eines Pleinairs mit meinen Studenten im Juni 1980, wenige Tage nach der Unwetterkatastrophe. Seit dem Krieg hatte ich derartige Zerstörung nicht wieder erlebt. Tag für Tag zeichnete ich die geschundene Natur.
In unserer von nuklearem Inferno bedrohten Gegenwart schien mir das „Schicksal“ der Bäume gleichnishaft. Die später in einem langen Zeitraum formulierte Botschaft ergibt sich also aus der Wahl des Gegenstandes in seiner besonderen Beschaffenheit. Die Wunden der Bäume, weithin sichtbar als nahezu weißes, von Rinde entblößtes Holz, führten mich zu dem formalen Vorhaben, dieses unnatürliche Weiß, fleckenhaft leuchtend und im Grunde Harmonie und Rhythmus der Grafik störend, zeichnerisch auszusparen bzw. auf der zweiten, der Mezzotintoplatte, blank zu polieren. Farbe sollte darüber hinaus den Eindruck tödlicher Verlassenheit nach dem Sturm verstärken helfen. […]
Aus privaten Notizen
Gerenot Richter am 22.08.1983
Die „Überfülle des präzise Dargestellten“ und das „akribische Festhalten an jedem Detail“ ist für mich eine Gestaltungsweise, der auch schon Gisold Lammel nachgegangen ist und die er als eine Art „Horror vacui“ zu erklären versucht. „Überfülle“ ist für mich zunächst ein von der Wirklichkeit diktierter Sachverhalt. Was ich aus ihr wähle, wie ich dann ordne und mit welchen Gestaltungsmitteln ich darlege und rhythmisiere, betrachte ich als einen wesentlichen inhaltlichen Zusammenhang meiner graphischen Arbeit.
Dabei entspricht die Behandlung des Details meiner Achtung vor der gegenständlichen Welt als Ganzes. Insofern erlangt ein Grasbüschel die gleiche Aufmerksamkeit der Durchbildung wie ein ins Auge springender bedeutungsträchtiger Gegenstand des Bildes […]
Aus der Antwort auf eine Kritik
Gerenot Richter an die Journalistin Sabine Sülflohn (20.11.1985)
Richter nahm Bezug auf ihre Rezension in der „Neuen Zeit“ vom 22.11.1984
„Eva und Adam“ war ein Vorläufer – noch ohne Gedanken an die späteren Blätter, eine Adaption einer Handzeichnung Dürers. Die weiteren Blätter stutzen sich auf zitierte Bildteil der Stiche „Melencolia“, „Der Traum des Podagristen,“ „Das Meerwunder“ und „Das große und das kleine Glück“. Beim „Traum“ und beim „Großen und kleinen Glück“ finde ich die Bildlösung zu einfach, insbesondere beim „Traum“. Hier handelt es sich um eine Selbstbildnis am Arbeitsplatz. Beim „Großen und kleinen Glück“ habe ich mich lediglich auf die Gewandfalten der Dürerschen Stiche bezogen.
Eine bessere Idee kam mir beim „Meerwunder“, da hier ja die Verschreckung der Mädchen im Zusammenhang mit dem Fotografen steht (der nicht im Bilde ist). Formal gefällt mir das Blatt „Melencolia“ am besten. Hier sind einige Blätter von mir farbig gedruckt worden. Aber heute würde ich gewiss alles schon anders angehen. Die Bewunderung für Dürer, aber auch für seine Väter (etwa Martin Schongauer) wird bei mir anhalten, und ich werde gewiss auch in späteren Arbeiten meine Huldigung zeigen. Eigentlich sind auch solche großen Blätter, wie ich sie z. B. zum 90. Geburtstag von Gerhard Marcks radiert habe, ohne meine Liebe zu Dürer nicht denkbar.
Aus einem Brief
Gerenot Richter an den Kunsthistoriker Matthias Mende am 27.05.1980
Bei meinen Arbeiten an zwei kleinen Ätzungen habe ich mich etwas intensiver … mit Vivaldis 4 Jahreszeiten beschäftigt. … Ich hatte Vivaldi nur so gehört, mehrere Male, ohne Texteinführung. Die musikalischen Gedanken, Wendungen, Verwandlungen etc. haben vielerlei Gefühle und Erinnerungen an andere Werke anderer Musiker (z.B. auch Beethoven, Britten) erzeugt. Allmählich bauten sich eigene Bezugsfelder auf. Dann las ich im Konzertführer eine ausführliche Analyse und plötzlich, beim neuen Hören, war alles ganz anders, frappierend, aber nicht unbedingt eindrucksvoller. Mir war nicht bekannt, dass fast jede musikalische Geste eine Bild- bzw. Gefühlsvorstellung auslösen soll (z.B. Zähneklappern, Füßestampfen etc.) Ich versuchte, das weitere Hören dem ersten anzugleichen, die Bilder abzustreifen, den reinen musikalischen Klang wiederzufinden. Es gelang mir nicht […]
Aus einem Brief
Gerenot Richter an die Tochter (24.04.1980)
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