Unter dem Titel Meister des Kupferstichs begann in der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz eine neue Ausstellungs- und Publikationsreihe.
Parallel zur Ausstellung erschien das Buch „Gerenot Richter – Meister des Kupferstichs“. Mit diesem Blogbeitrag verweisen wir auf die sehr erfolgreiche Ausstellung 1997 in Greiz und zitieren an dieser Stelle aus dem Vorwort von Gotthard Brandler, dem Direktor der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz.
Der Terminus Kupferstich wird von uns hier in der kunsthistorisch eingeführten Weise als ein Oberbegriff für die unterschiedlichen Techniken des Tiefdrucks verstanden. Ausgewählt werden Künstler, die in einem engeren oder weiteren Sinnen die großen und reichen Traditionen des Kupferstichs in Deutschland und andernorts bis in die Gegenwart fruchtbringend fortgeführt haben.
Nicht zufällig wird zum Auftakt der neuen Reihe des Werk des Berliner Künstlers Gerenot Richter (1926-1991) vorgestellt. Denn seine Arbeiten bieten wahrhaft Meisterliches auf dem Gebiet des Kupferstichs. Auch erhellen sie geradezu paradigmatisch und auf faszinierende Weise die fruchtbar gewordenen Beziehungen zu den Altmeistern.
Das bedeutet nicht, dass sich Gerenot Richter historisierend oder als Kopist verhalten hätte. Vielmehr ist der Reichtum der in Jahrhunderten geschaffenen Formen und Liniensprache der Stecherkunst in einem sehr gegenwärtigen Werk aufgehoben.
Auch reicht es nicht, bei Richter allein von einer Perfektion des Handwerks zu sprechen. Perfektion allein mündet allzuschnell in eine sterile Künstlichlichkeit und Manieriertheit, die im wahrsten Sinne oberflächlich bleibt.
Nein, Richter erweist sich nicht nur als ein perfekter Stecher, sondern als ein Meister. Ihm gelingt es, das Sinnlich-Wahrnehmbare durch das Ich des schaffenden Menschen so zu verwandeln, dass das Kunstwerk in seiner sinnlichen Wahrnehmbarkeit zugleich Zeugnis von etwas Geistigem ablegt. Die äußere Erfahrungswelt wird auch innerlich seelisch durchdrungen. Voraussetzung dafür ist ein Empfinden gegenüber den in der Natur verborgenen Geheimnissen.
Der Richtersche Mikrokosmos weitet sich zum Makrokosmos, zur gleichnishaften Welten- und Seelenlandschaft. Und der Künstler in seinem Gehäuse erschließt sich über den genauen und wissenden Blick auf das Gegenständliche, Naheliegende die Welt und eine Ahnung von der Schicksalhaftigkeit menschlicher Existenz.
Beispielhaft steht dafür das Blatt "Der Traum des Podagristen – Dürers 450. Todestag" vpm 1977. Dargestellt ist ein recht eng gefasster Ausschnitt aus der Arbeitsstätte des Künstlers. Rechts im Bild noch ein Teil des bekannten Dürer-Blattes "Der Traum – Die Versuchung" (um 1497 / 1498) zu erkennen, links eine eigene Arbeit. Nicht von ungefähr gerät hier gerade das Details des Kupferstichs von Dürer ins Bild, das einen auf Stelzen gehenden Putto neben einer Kugel darstellt.
Der Künstler selbst in seinem Atelier, mit aufgesetzter Lupe und mit der Radiernadel in der Hand, erscheint als Spiegelung auf einer Glaskugel. Doch ist dies ja nicht die bloße Darstellung eines Widerscheins. Er erinnert an die philosphischen und künstlerischen Erkenntnisse eines Jakob Böhme oder eines Albert Dürer. Die Kugel als ein Symbol des Kosmos, der Ganzheit, der Vollkommenheit, aber auch der Seele. Im Bild des Runden und der Kugel kommen Kosmos und Mensch, sinnlicher und ethischer Wert in einem Idealzustand zur Vollendung. Die Weltkugel ist aber zugleich auch ein Zeichen der unsteten Göttin des Glücks in Wechselbeziehung zu den Mächten Zeit, Vergänglichkeit und Tod.
Gerenot Richter besaß in seiner Persönlichkeit und in seiner Kunst eine ethisch-moralische Eigenschaft, die man nur mit dem in der heutigen Gesellschaft außer Gebrauch geratenen Begriff der Demut bezeichnen könnte. Nicht im Sinne von Ergebenheit, sondern im Sinne einer Achtung vor der Natur, der Schöpfung und des Schöpferischen im Menschen selbst.
Nicht im Sinne von Ergebenheit, sondern im Sinne einer Achtung vor der Natur, der Schöpfung und des Schöpferischen im Menschen selbst. Und so beinhalten zahlreiche seiner Arbeiten nicht zufällig einen Dank an seine großen Vorgänger.
Im Jahre 1987 durfte ich Professor Gerenot Richter im Zusammenhang mit einer Ausstellung noch persönlich kennenlernen. Vermittelt hatte diese Begegnung Dr. Gisold Lammel, der beste Kenner des Richterschen Werkes. Schon damals hat mich die Bescheidenheit, aber auch der Kenntnis- und Empfindungsreichtum des Künstlers sehr beeindruckt.
Allerdings bedurfte es noch einiger Zeit, um die künstlerische und ästhetische-philosophische Dimension des Werkes von Gerenot Richter tatsächlich zu erfassen. Um so dankbarer bin ich, dass mich nun zehn Jahre später Gisold Lammel – mit Unterstützung von Frau Ingeborg Richter – dazu ermutigt hat, die schon länger geplante Reihe "Meister des Kupferstichs" beginnend mit Gerenot Richter, in Greiz ins Leben zu rufen. So kann dieses Vorwort auch nur eine Dankeswort sein für das Werk, das der Künstler uns hinterlassen hat.
Text: Gotthard Brandler, Direktor der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz
Der Artikel wurde entnommen aus: Lammel, G., Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter
Hrsg. von G. Brandler, Edition Schwarz Weiß, Spröda 1997
Den Text von Gisold Lammel aus diesem Katalog können Sie hier nachlesen.