Meine Mühen im Hochschulalltag

Datum: 10.05.1980

Gerenot Richter am 10.05.1980 in Berlin


Auszug aus einem Brief an die Tochter

… leider verliere ich zur Literatur immer mehr die Beziehung, weil mir die Zeit ‚zwischen den Fingern‘ zerrinnt. In den letzten Wochen habe ich kaum etwas geschafft, was wichtig war. Alles bezog sich nur auf Leitungstätigkeit … Diese Belastung macht äußerst nervös, zumal, wenn man unmittelbar in einer neuen künstlerischen Arbeit steckt (hätte man noch nicht eine neue Platte in Bearbeitung, wäre alles halb so schlimm – jetzt aber, mitten in einem neuen Projekt, was noch Wochen kosten wird, ist jede Abhaltung schmerzlich).

Zum Beispiel haben wir uns gegenwärtig zur Wehr zu setzen gegen eine völlig ungebildete, kunstunverständige Universitätsleitung. Unter uns: Auch … ist dazu zu zählen, und man muss sich tatsächlich nicht wundern, dass an der Universität Dinge geschehen, oder auch nicht geschehen, die uns, mit den Künsten operierende Studenten und Lehrkräfte empören, verletzen, entmutigen. Behalte es für Dich: … hat eine für Hager bei uns angeforderte Grafikmappe zurückgewiesen mit der Begründung, kein Blatt könne dem Politbüromitglied zugemutet werden. Ich selbst hatte die Grafiken aus den letzten drei Absolventenjahrgängen zusammengestellt und war, gemeinsam mit meinen Kollegen der Auffassung, diese Mappe sei die schönste und würdigste, die wir je an die Öffentlichkeit gegeben haben…

Diese neue Situation, die unser fachliches Bemühen in Zweifel zieht, die mir einen psychologischen Tiefschlag versetzt hat und geradezu lähmend wirkt, passt zu allen anderen Kampfproblemen, denen wir uns gegenübergestellt sehen (z. B. im Zusammenhang mit den künftigen Prozessen in der Diplomlehrerausbildung ab 1982 … sollen wir doch mit Russisch kombiniert werden, was bedeutet, dass Kunsterziehung zum Nebenfach degradiert würde und die Studenten, da sie im III. Studienjahr in der SU studieren, für ein Jahr völlig aus der künstlerischen Kontinuität herausgerissen werden).

Überall befinde ich mich in Verteidigungshaltung; man schlägt um sich, Schattenboxen gegen einen imaginären Gegner. Alles kostet Kraft und Zeit, und man ist sich nicht sicher, ob der ganze Aufwand lohnt. Eigentlich ist man sogar überzeugt, dass er sich nicht lohnt, aber man ist nicht bereit, die Segel zu streichen… Würde man weniger streitbar handeln, dann ließe man andere entscheiden und nickte nur devot mit der Omme. Ich habe so etwas von meinen Berufskollegen höchster Dotierung in letzter Zeit des Öfteren erlebt, so dass ich im Grunde allen Mut verlieren könnte.

… Das Kuriose liegt in dem Fakt, dass man einerseits geradezu geil ist auf studentische Meinung zu Hochschulproblemen (in Vorbereitung der im September stattfindenden Hochschulkonferenz), andererseits aber die gestörte Ruhe fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. An den Studenten wird es vor allem mit liegen, ob die im Ansatz vielversprechenden Verbesserungsgedanken zur Wirkung gelangen, oder ob alles nur Onanie war und im allgemeinen Erschlaffungszustand versinkt. Auch hier bin ich entschlossen, mich auf die Seite meiner aktiv eingreifenden, bohrenden und auf wirklichen Erkenntniszuwachs drängenden Studenten zu schlagen. Sonst könnte ich eigentlich auch selbst als Lehrkraft passen und den Arsch an die Wand drücken …