Auszug aus der Laudatio von Bernd Gork zur Ausstellungseröffnung am 22. November 2006
… Auf der Suche nach Künstlern und Werken für die Kunstsammlung Lausitz entdeckte ich 1987 in einer Berliner Ausstellung faszinierende Tiefdruckwerke von einem Künstler, der nicht aus dieser Zeit schien. Die mit äußerster Akribie und Formenfülle ausgeführten Radierungen und Aquatinten erinnerten an die Dürer-Zeit, eine der Sternstunden deutscher Grafik. In Berlin vermutete man dergleichen nicht, war es doch Leipzig, wo beispielsweise Werner Tübke oder der Kupferstecher Baldwin Zettl an die Kunst der Renaissance anknüpften. Als ich in der genannten Berliner Ausstellung unter den Richter-Werken noch vier Lausitzer Landschaften entdeckte, war die Freude perfekt. Der Ankauf beim Künstler zu einem moderaten Preis folgte bald. Später kamen noch weitere kleinere Kaltnadelradierungen mit Lausitzer Landschaften dazu, die in Bautzen ausgestellt waren. So der vollständige Zyklus von 12 Blättern mit dem Titel „Und die Erde wird lange feststeh'n und aufblüh'n im Lenz“ aus einem chinesischen Vers, den Gustav Mahler in seinem „Lied von der Erde“ verwendete, und drei Blätter aus dem Zyklus „Alles verfault, was ohne Wurzeln ist“, ein Zitat von Jewtuschenko.
Der Titel der Grafikfolgen, die Gerenot Richter gegen Ende seines viel zu kurzen Lebens schuf, weisen auf ein Grundanliegen seiner Kunst, der respektvollen Versenkung in die Natur als unerschöpflichen Quell des Lebens. Dabei folgte er dem Ethos des von ihm hochverehrten Albrecht Dürer, für den es keine Nebensächlichkeiten gab und der einer Feldblume die gleiche gestaltende Aufmerksamkeit widmete wie dem Menschenbild. So sagte Richter 1980 „Mir liegt an der Anerkennung des künstlerischen Eigenwerts jeden Dinges, an einer – bei Dürer zu lernenden – Ehrfurcht vor den Dingen. Die gegenständliche Bindung führt für mich zu der Eindringlichkeit mit der ich auch Kleinstes, scheinbar Nebensächliches grafisch durchbilde. Auch damit eifere ich Dürer nach, dessen Liniensprache, Formenverbindung und Formenverwindung, das Übergenaue und Pedantisch-Exakte ich immer wieder aufs neue verfolge, bewundere und die mir allerdings unerreichbar bleibt.“
Die Ausstellung zeigt mit 66 Arbeiten den gesamten gegenwärtigen Bestand der Kunstsammlung Lausitz an Werken von Gerenot Richter, die sich allesamt mehr oder weniger auf die Lausitz beziehen. Dank der großzügigen Schenkung erhalten wir auch einen Einblick in das vielgestaltige Frühwerk des Künstlers mit einer Fülle malerischer und zeichnerischer Techniken bis hin zur Lithografie.
Nachdem Richter von 1949 bis 1953 Kunsterziehung in Dresden, Leipzig und an der Humboldt-Universität in Berlin studierte, erhielt er 1955 den ersten Lehrauftrag dort und promovierte 1957. Von 1962 bis 1965 schloss sich noch ein externes Studium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee bei den Professoren Heinrich Burkhardt und Fritz Dähn an. Aus dieser Zeit stammt ein Großteil der hier zu sehenden Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen und Lithografien, in denen er den vielfältigen Erscheinungen der Industrielandschaft im Kohlerevier um Hoyerswerda auf der Spur war. Immer wieder kehrte er auch als Professor mit seinen Studenten in die Lausitz zurück, denn neben der Braunkohlenindustrie war es auch die Landschaft der Oberlausitz, die eine Fülle reizvoller Bildmotive bot.
Erscheint in den frühen Arbeiten aus der Studienzeit und kurz danach der Personalstil noch nicht ausgeprägt, so spüren wir in den feingliedrigen Skribentzeichnungen von 1973 bereits die Hinwendung zum altmeisterlich anmutenden Detailreichtum, wie er in den kommenden Jahren besonders in den Tiefdruckarbeiten zur vollen Entfaltung kommen sollte. So ist denn zweifellos ein Gipfelpunkt im Schaffen von Gerenot Richter in der 1983 begonnenen Folge von sechs großen gleichnishaften Bilddichtungen voller Fantasiereichtum und Zitaten aus der Kunstgeschichte zu sehen. Das Aquatintablatt „Gleichnis III“ von 1987 dürfte der Höhepunkt unserer Ausstellung sein. Mit dem Untertitel „Eustachius“ bezieht es sich auf jenen Heiligen, dem Dürer bereits um 1500 ein bildnerisches Denkmal setzte. Der Feldherr Eustachius soll zum Christentum bekehrt worden sein, nachdem er auf der Jagd im Geweih eines Hirsches ein Kreuz erblickt hatte. Dieses Bildmotiv aus dem Dürer-Blatt fehlt allerdings bei Richter, der sich auf das Zitat eines von einer Burg bekrönten Berges beschränkte. Im Gegensatz dazu ist in der linken Bildhälfte die Schlossruine von Bad Muskau zu sehen. Gedeih und Verderb, die auch in der umgebenden Natur sichtbar werden, in einem Bild vereint als Sinnbild für die Gefährdungen auf unserem Planeten …
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Gerenot Richter – Malerei und Grafik aus der Kunstsammlung Lausitz,
Ausstellung vom 22.11.2006 bis 14.01.2007
Laudatio: Bernd Gork (*1949),
Lehrer für Kunsterziehung, Musik und Deutsch, Künstler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kreismuseum Senftenberg, Aufbau der Kunstsammlung Lausitz
Abbildung: Gerenot Richter, WV I-25 Tagebau, 1967, Lithographie, Feder / Kreide, 33 x 55 cm