Er bot sich nicht an, er war da …

Datum: 11.01.1991

Zum Tod des Berliner Grafikers Gerenot Richter

Er war ein nobler Mann. Von einer leisen, taktvollen, feinsinnigen Art. Dem das Grelle ebenso fremd zu sein schien wie Denunziation und Marktgeschrei. Gerenot Richter bot sich nicht an, er war da. Auch für uns. Mehr als zehn Jahre hindurch betreute er, was zum Besten der Jungen Welt zu rechnen ist, die hauseigenen Grafik-Serien, und leicht gemacht wurde es weder ihm, dem Berater und Gutachter, noch den Künstlern und Redakteuren.


Wenn es nur das Geschmäcklerische gewesen wäre, das sich zum Scharfrichter aufschwang über wochenlange Mühen um ein grafisches Blatt, könnte man noch im Nachhinein darüber lächeln, aber es war der jämmerliche Untertanen- und Karrieregeist, der die Urteile diktierte, manches verhinderte oder verbot. Im Namen des Klassenkampfes. Wer wird das später begreifen? Wer wird ermessen können, wie schwer angesichts dessen auch Prof. Gerenot Richters Geduld wog? Bis es nicht mehr ging, weil die Borniertheit in Ekstase geriet. Das war 1985, der Internationalen Grafikserie zu den Weltfestspielen in Moskau folgte die JW-Inquisition, die sich natürlich nicht an ihm austobte, ihn aber betraf.

So verloren wir einen lauteren Menschen, einen verläßlichen Partner und leidenschaftlichen Künstler. Der Schatten jener Schuld trifft uns heute ebenso wie sein früher Tod. Trotz unheilbarer Krankheit arbeitete er bis zuletzt an seinen filigranen Radierungen: Blumen, Büsche, Bäume in verschwenderischer Fülle und Vielfalt, blühend, verletzt, abgestorben. Werden und Vergehen. Nicht wie es dem Kreislauf der Natur entspräche, sondern Willkür und Ignoranz des Menschen entspringt.

Dies ist eine Botschaft für den wachen Betrachter, dem sanften Maler und Mahner gemäß. Verlieren wir sie nicht aus den Augen.

Angelika Griebner in der Zeitung „Junge Welt“ vom 11. Januar 1991