Auszug aus der Laudatio von Astrid Volpert zur Ausstellungseröffnung
am 21. Januar 2017 | Galerie im Neuen Rathaus Templin
Die hier eröffnende vorletzte Station dieser Reise durch Richters Bilderkosmos erfasst sein Früh- bzw. Spätwerk. Dabei spannt sich der Zeitbogen vom Beginn der 1960er Jahre bis 1989, ungefähr ein Jahr vor seinem viel zu frühen Tod im Alter von 64 Jahren. 98 Arbeiten sind im Templiner Rathaus versammelt. Sie werden es bei ersten Blicken die Haupttreppe aufwärts und in den Fluren von zwei Etagen schon bemerkt haben – es handelt sich nicht nur um Drucke, also Radierungen und Lithografien, sondern auch um Handzeichnungen und sogar drei Ölbilder …
Was wir sehen, sind Landschaften, Stillleben und Bildnisse. Manchmal ist es gar nicht so einfach ist, das einzelne Kunststück exakt einer Periode zuzuschreiben. Denn Übergänge sind oft fließend, je nachdem, in welchem Kontext wir die Entwicklung eines Themas bzw. die Struktur des Werks betrachten – kompositionell oder drucktechnisch. Die Einladungskarte kündigt für jede Etappe ein prägnantes Beispiel an. 1974, nach einem Rügen-Aufenthalt, entstand die Radierung „Terra Mater“. Sie gilt als ein Fixpunkt des Richterschen Frühwerks. Der Titel dockt an Geschichte an: In der römischen Mythologie bedeutete dieser Begriff die Personifizierung der Mutter Erde als Göttin. Das klingt nach Pathos, aber gerade das offenbart dieses Blatt nicht. Wir sehen bewegte, natürliche Schönheit und mittendrin ein gebeutelter Mensch, kein Prophet, eher ein Mahner. So gibt der Künstler dem Motiv einer Wind und Wettern trotzenden, zerzausten Gestalt in der Ebene, an der Grenzlinie von Land und Wasser, lebendigen Ausdruck. Die Vibrationen der Kaltnadelstriche formieren konzentrierte, aufrechte Körperhaltung und die Gewissheit: Diese Figur lässt sich im Sturm nicht einfach wegfegen. Nach vorn blickend, zeigt sie offen Gesicht.
Den anderen Pol – das sogenannte Spätwerk – besetzt die nachweisbar letzte druckgrafische Arbeit aus dem Jahr 1989. Auch dieser Radierung / Aquatinta liegt eine Handzeichnung zugrunde und Volkhard Böhm bezeichnet das finale Blatt als Richters Vermächtnis. Das Motiv entpuppt sich als ein Fragment barocker Gartenkulisse: ein sich zwischen der Mauerbegrenzung des Geländes mit schmückenden Amphoren und ruhenden majestätischen Baumgestalten schlängelnder Parkweg. Es gehört zur unmittelbaren Umgebung von Schloss Neschwitz in der Nähe von Bautzen. Der Kunsthistoriker Volkard Böhm berichtet, Richter habe die Druckplatte überätzt und somit einen flauen Abdruck hervorgerufen. Eben dieses Resultat vermochte den melancholischen Gehalt seines Abschiedsblatts zu steigern. „Herbstlicht“. Der sonst eher zu lapidar informierenden Bildtiteln greifende Künstler wählte diesmal die poetische Steigerung, im Bewusstsein des Erreichens des Endpunkts seines grafischen Tuns. Namentlich widmete er das Werk Ingeborg, seiner Begleiterin durch vier Lebensjahrzehnte. Auf noch ein Detail sei verwiesen: Im Unterschied zur „pur landschaftlich“ gehaltenen Vorzeichnung fügte Richter im Druck ein tröstliches Zitat ein: Unten rechts, zwischen zwei Bäumen, lagert ein Paar schlafend auf einer Bank. Es ist Barlachs Figurengruppe von 1912, das „Schlafende Bauernpaar“, auch „Schlafende Vagabunden“ genannt …
„terra mater“ & „Herbstlicht“ – Spät- und Frühwerk
Ausstellung vom 21. Januar bis 15. März 2017
Galerie im Neuen Rathaus | Prenzlauer Allee 7 | 17268 Templin
Laudatio: Astrid Volpert
Musik: Renate Kelletat (Blockflöten)