Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht in:
Gerenot Richter / Grafik
Katalog der Galerie a (1989)
Ausstellungen | Auktionen, Seite 33
Für mich gilt es, mit der Tatsache zurecht zu kommen, dass Gerenot Richter, den ich aus langjähriger und benachbarter Zusammenarbeit als einen geradlinigen, unkomplizierten Menschen kenne und schätze, so krumm- und krauslinige, hochkomplexe und hintergründige Bilder macht. Das Problem löst sich, weil man bei genauerem Hinsehen hinter der Komplexität eine gerade Linie im Zugehen Gerenot Richters auf die Welt und in der intensiven Arbeit an seinen künstlerischen Mitteln erkennt – Mitteln, die uns helfen sollen, uns die Welt ästhetisch anzueignen.
In den 1960er Jahren gehörten dazu energische Strichbündel, die den Blick in dynamische Bildräume sogen, durch die ein frischer Wind zu blasen schien. Seit etwa 1974 ruht der Blick des Künstlers genauer auf den Details der sichtbaren Welt und folgt ihm die sorgsam zeichnende Hand mit höchster Präzision. Die Größensprünge in den Bildräumen, wie wir sie auch aus manieristischen Bildern des 16. Jahrhunderts kennen, lassen uns jetzt die Weite als Distanzspannungen erleben. Dazu gesellen sich gegenständliche Spannungen in den Motiven, zum Beispiel der Stranddarstellungen, und durch das Einflechten von Kunstreminiszenzen in scheinbar direkte Naturabbildungen.
Gerenot Richter gehört zu denen, die noch staunen können über die unendliche Vielfalt der Natur und des Menschenwerks, und er hält uns, was sehr heilsam ist, zu gleichem Staunen an. Eine starke Liebe zur Natur und eine starke Liebe zu großer, menschlich bedeutsamer Kunst – wir sollten nicht anstehen, sie eine demütige Liebe zu nennen – wachsen zusammen zu einer Liebe zu den Menschen, um deren Lebensraum und Lebenswerte es in dieser Natur symbolisch romantischen Kunst geht.
Mit großer Eindringlichkeit gibt Gerenot Richter häufig Verletztes, Zerstörtes, Altes, Abgestorbenes wieder – aber eigentümlicherweise werden die Präzision, die metallene Schärfe der Linien niemals kalt und selbst die dunkelsten Blätter niemals trostlos. Dafür sorgen die Aufmerksamkeit für organische Regsamkeit und vor allem ein umhüllendes, rationales, reines, ein wirklich erleuchtendes Licht auf den Dingen, das uns nie in einer Verstrickung befangen zurücklässt.
Ich zögere nicht, dies eine daseinsbejahende, eine optimistische Haltung zu nennen. Dabei sieht Gerenot Richter die Wirklichkeit nicht unkritisch, nicht ohne Trauer und nicht unwissend-naiv. Aber nach meiner Auffassung gehört er zu denjenigen Künstlern, die eigentlich nur das gestalten können, was sie lieben. So sind seine Blätter von jener „ansteckenden Zuversicht“ (Hermann Raum), die wir angesichts der heutigen Weltlage so sehr brauchen.
Gerenot Richter schenkt dem, der sich auf das schöne Abenteuer einlässt, mit dem Blick seine Blätter zu durchwandern, eine neue, vertiefte Freude am Sehen wie auch Freude am kunstreich Gemachten. Und das ist eine der großen Aufgaben, die Kunst erfüllen kann und soll.
Inmitten einer Kunstwelt, die voll ist von expressiv Vereinfachtem, Plakativen, skizzenhaft Offenem, technizistisch Seriellem, und die erfüllt ist von der zuckenden Hektik der bewegten Bilder, die täglich auf uns eindringen, breitet Gerenot Richter seine altmeisterlich durchgearbeiteten Blätter und seine entschiedenen ästhetisch-ethischen Wertungen vor uns aus. Wenn mancher dies Konservativen nennen will – konservativ heißt bewahrend, dann sei gesagt, dass wir mit gutem Recht hellsichtiger und nachdenklicher geworden sind gegenüber der Dialektik von revolutionärer Neuerung, die unser Anliegen ist und dem Wiedergewinnen und Bewahren von Werten und Traditionen, die wir gefährdet sehen.