Was für ein Mensch ist Gerenot Richter?

Datum: 17.05.1987
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Gegenwart des Daseins eines Menschen


Roland Berger über den Lehrer, Freund und Weggefährten

Vielleicht ist es gar nicht so verkehrt, wenn man um dem Werk eines Künstlers näher zu kommen, ein paar Gepflogenheiten seines Lebens kennt. Die Deutung der Bilder läuft dann in weniger spekulativen Bahnen, weil die Spanne zwischen Bildwelt und Wirklichkeit durch die Gegenwart des Daseins eines Menschen erklärbar wird.

Was für ein Mensch ist Gerenot Richter? Auffallend ist der Wunsch, nicht aufzufallen. Er vermag um Haupteslänge über andere hinwegzuschauen, kann so alles gut und genau beobachten, muss sich nicht drängeln, weiß mithin in der Welt Bescheid. Besonnenheit und Agilität – ein seltener Kontrast – vereinen sich bei ihm in glücklicher Weise. Seine Bescheidenheit und Scheu sind echt. Sie paaren sich mit dem Sinn fürs Praktische und Nützliche.

Das Ethos des gediegenen Handwerk

Gerenot Richter mag Ordnung. Damit sind vielfältige Verhaltensweisen der Menschen gemeint, wie sie sich in und mit der Welt einrichten, also, nicht nur der Rechte Winkel beim Zurechtlegen der Dinge. Das Ethos des gediegenen Handwerks spielt dabei aber eine ebensolche Rolle wie erzieherische Bestrebungen. Werkstatt-Tricks gibt Richter weiter. Handwerkliches wird von ihm als eine besonders zu achtende Voraussetzung für die Solidität des Künstlers angesehen. Schaut man seine Arbeiten an oder in seine Werkstatt, wird man diese Gesinnung bestätigt finden.

Chaos mag er nicht, wenngleich er es in der Natur ab und an bestaunt. Das Stadtleben erzwingt Ausgleich: Hinwendung zur Natur, ohne jubelnde Wandervogelstimmung, nicht schwärmerisch nach Verklärung lechzend. Richters Blick auf die Natur ist gleichsam gefiltert. Sachliche Wiedergabe schafft Nüchternheit und Kühle.

Das Seherlebnis aber ist überwältigend und beginnt zu wuchern; nicht im schwelgerischen Sinne, nein, ehrfürchtig, nahezu demütig folgt Gerenot Richter dem Angebot der Natur und versucht, das Geschaute im Bilde zu bannen. So ausgewogen die Komposition seiner Bilder ist, die zeichnerische Akribie in der Mischung von Linie und Struktur ist bewusster Gegensatz, gesucht und kultiviert aus künstlerischer Verantwortung.

Naturabbild und Kunstzitat

Der Erzieher ist spürbar, nicht aufdringlich, aber doch unnachgiebig. Wer sich auf Richters Bilder einlässt, der braucht Zeit. Der Genuss kommt nicht augenblicklich. Dem Betrachter wird mit freundlichem Zwang abverlangt, mit den Augen in der Fülle auf Entdeckungsreisen zu gehen und ein Geheimnis zu ergründen. Bei diesen Bildwanderungen überraschen uns plötzlich Bildteile, die uns bekannt vorkommen, sich in dieser Begegnung aber zu neuen Sinneszusammenhängen vereinen.

Naturabbild und Kunstzitat verbinden sich zum poetischen Gleichnis. Surreale Zusammenstellung, Bildzitate und Übergenauigkeit sind bei Richter nicht spielerischer Selbstzweck und nicht modische Attitüde. Seine Metaphorik erwächst aus der Verbindung konkreter Anschaulichkeit und intellektuellem Anspruch.

In seinem „Gehäuse“, wo seine Werke entstehen, inmitten von Büchern, Bildern und Musik, erinnert Richter mit der Lupenbrille vor den Augen gebeugt über seine Arbeit an „Hieronymus“. Askese, Fleiß und Glauben an seine Sache beherrschen ihn.

Zu dieser Souveränität zählt auch das wohldurchdachte Wirkungskonzept seiner Kunst, also ihre unverwechselbare Eigenart in Form und Gehalt.

Die von Richter bewunderte Handwerklichkeit bei Martin Schongauer, Albrecht Dürer, Herkules Seghers, Rodolphe Bresdin u. a. verknüpft sich mit den Traditionslinien der realistischen Bildkunst, die von Humanismus und gesellschaftlicher Verantwortung für das Leben auf diesem Planeten geprägt sind.

Text: Roland Berger, Berlin
in: Jahreskatalog der Greifengalerie Greifswald von 1987