Über Schwarzweiß-Grafik …

Datum: 22.05.1979
In Kategorie:

Mitteilung an die Kunsthistorikerin Ingrid Möller


Gedanken von Gerenot Richter aus dem Jahr 1979

Da in meinem eigenen Schaffen Aquatinta-Radierungen eine große Rolle spielen, haben mich farbige Druckversuche seit jeher interessiert (etwa seit 1965). Bestimmte Vorbilder kann ich nennen. Am meisten beeindrucken mich jedoch die Blätter von Herta Günther.

Ich liebe das Schwarzweiß der Grafik mehr als die Farbe, kenne jedoch das Bedürfnis eines bestimmten Publikums nach Farbgrafik, das nicht allein künstlerischer Natur ist. (Der „normale“ Kunstverbraucher, der sich Grafik kauft, scheut – wenn er an die Schmuckfunktion für die eigene Wohnung denkt – vor dem reinen Schwarzweiß zurück. In diesem Fall wird die Nähe zur Malerei gesucht.)

Der Zusammenhang von „Thema“ und „Farbigkeit“ ist m. E. ohne Bedeutung für die Untersuchung des Problems Farbgrafik. Interessanter für mich ist die Abhängigkeit von der Gestaltungskonzeption bis hin zur technischen Realisierung. (also etwa die Farbe im Ein-Plattendruck oder im Mehrplattendruck. Hier sind die konzeptionellen Ausgangspunkte bereits völlig verschieden. Ähnlich bei der Farblitho, die ich über die einfache Umkehrung der positiven linearen Struktur zur negativen Fläche bis hin zum verlorenen Stein gewinnen kann oder von vornherein als Farblitho mit mehreren Steinen konzipiere. Mir selbst bereitet es z. B. mehr Vergnügen, die Farbe später zu versuchen, d. h., wenn ich das Schwarzweiß bereits „in der Tasche habe“.)

In der Grafik gibt es m. E. immer noch „unausgeschöpfte Möglichkeiten“, so auch in der Farbgrafik. Die Möglichkeiten sind in erster Linie diejenigen, die man für sich selbst entdeckt, abhängig vom eigenen Weltverhältnis, vor der individuellen Gestaltungskonzeption. Im Hinblick auf technische Neuerungen sollte man nicht zu viel erwarten. (Alles schon mal dagewesen.) Die Möglichkeiten, Herta Günthers oberflächenstrukturierte Platten malerisch einzufärben, sind von ihrer farbigen Konzeption insgesamt diktiert, wie Victor Vasarelys Siebdrucke (die mich übrigens auf andere Weise genauso beeindrucken wie H. Günthers Radierungen!) das adäquate Verwirklichungsmittel seiner farbigen Idee darstellen. Deshalb ist für mich die Frage nach der „Rückkehr zum Schwarzweiß“ auch nicht so interessant. Die Farbgrafik wird das Schwarzweiß nicht bedrängen, wie umgekehrt das Schwarzweiß seine Ausschließlichkeit nicht verteidigen muss.

Subjektiv wertend meine ich, dass die Grafik ohne Farbe sehr gut auskommen kann und historisch gesehen auch durchaus auskam (bei allen guten Beispielen farbiger Grafik der Vergangenheit).

Ich weiß, dass sich Künstler auch aus finanziellen Gründen der Farbgrafik zuwenden, ohne eigentlich eine echte Farbkonzeption zu haben. Hier wird nur der technische Aufwand des Druckens für den Preisgewinn gesehen. Anders etwa bei Manfred Butzmann, der seine malerischen Ambitionen über die „billigere“ Offsetlitho realisiert, in der Radierung aber beim klassischen Vorbild bleibt. Das finde ich gut. Abschließend sei noch einmal betont, dass ich kein Vertreter farbig konzipierter Grafik bin, sondern für mich die Farbe gelegentlich Experiment bleibt (besser gesagt, ich probiere, ob und wie die Farbe in meinen Aquatinten steht).

Abschrift einer Mitteilung an die Kunsthistorikerin und Autorin Ingrid Möller von 1979.
Ingrid Möller (*1934) befragte Künstler für ihre Publikation „Farbige Grafik in der DDR“, herausgegeben vom Staatlichen Museum Schwerin (1979) über deren Verhältnis zur Farbe in der Grafik.