Malerei und Grafik in der Galerie am Schloss in Senftenberg


Auszug aus der Laudatio von Bernd Gork zur Ausstellungseröffnung am 22. November 2006

… Auf der Suche nach Künstlern und Werken für die Kunstsammlung Lausitz entdeckte ich 1987 in einer Berliner Ausstellung faszinierende Tiefdruckwerke von einem Künstler, der nicht aus dieser Zeit schien. Die mit äußerster Akribie und Formenfülle ausgeführten Radierungen und Aquatinten erinnerten an die Dürer-Zeit, eine der Sternstunden deutscher Grafik. In Berlin vermutete man dergleichen nicht, war es doch Leipzig, wo beispielsweise Werner Tübke oder der Kupferstecher Baldwin Zettl an die Kunst der Renaissance anknüpften. Als ich in der genannten Berliner Ausstellung unter den Richter-Werken noch vier Lausitzer Landschaften entdeckte, war die Freude perfekt. Der Ankauf beim Künstler zu einem moderaten Preis folgte bald. Später kamen noch weitere kleinere Kaltnadelradierungen mit Lausitzer Landschaften dazu, die in Bautzen ausgestellt waren. So der vollständige Zyklus von 12 Blättern mit dem Titel „Und die Erde wird lange feststeh'n und aufblüh'n im Lenz“ aus einem chinesischen Vers, den Gustav Mahler in seinem „Lied von der Erde“ verwendete, und drei Blätter aus dem Zyklus „Alles verfault, was ohne Wurzeln ist“, ein Zitat von Jewtuschenko.

Die Natur als unerschöpflicher Quell des Lebens

Der Titel der Grafikfolgen, die Gerenot Richter gegen Ende seines viel zu kurzen Lebens schuf, weisen auf ein Grundanliegen seiner Kunst, der respektvollen Versenkung in die Natur als unerschöpflichen Quell des Lebens. Dabei folgte er dem Ethos des von ihm hochverehrten Albrecht Dürer, für den es keine Nebensächlichkeiten gab und der einer Feldblume die gleiche gestaltende Aufmerksamkeit widmete wie dem Menschenbild. So sagte Richter 1980 „Mir liegt an der Anerkennung des künstlerischen Eigenwerts jeden Dinges, an einer – bei Dürer zu lernenden – Ehrfurcht vor den Dingen. Die gegenständliche Bindung führt für mich zu der Eindringlichkeit mit der ich auch Kleinstes, scheinbar Nebensächliches grafisch durchbilde. Auch damit eifere ich Dürer nach, dessen Liniensprache, Formenverbindung und Formenverwindung, das Übergenaue und Pedantisch-Exakte ich immer wieder aufs neue verfolge, bewundere und die mir allerdings unerreichbar bleibt.“

Die Ausstellung zeigt mit 66 Arbeiten den gesamten gegenwärtigen Bestand der Kunstsammlung Lausitz an Werken von Gerenot Richter, die sich allesamt mehr oder weniger auf die Lausitz beziehen. Dank der großzügigen Schenkung erhalten wir auch einen Einblick in das vielgestaltige Frühwerk des Künstlers mit einer Fülle malerischer und zeichnerischer Techniken bis hin zur Lithografie.

Nachdem Richter von 1949 bis 1953 Kunsterziehung in Dresden, Leipzig und an der Humboldt-Universität in Berlin studierte, erhielt er 1955 den ersten Lehrauftrag dort und promovierte 1957. Von 1962 bis 1965 schloss sich noch ein externes Studium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee bei den Professoren Heinrich Burkhardt und Fritz Dähn an. Aus dieser Zeit stammt ein Großteil der hier zu sehenden Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen und Lithografien, in denen er den vielfältigen Erscheinungen der Industrielandschaft im Kohlerevier um Hoyerswerda auf der Spur war. Immer wieder kehrte er auch als Professor mit seinen Studenten in die Lausitz zurück, denn neben der Braunkohlenindustrie war es auch die Landschaft der Oberlausitz, die eine Fülle reizvoller Bildmotive bot.

Fantasiereichtum und Zitate aus der Kunstgeschichte

Erscheint in den frühen Arbeiten aus der Studienzeit und kurz danach der Personalstil noch nicht ausgeprägt, so spüren wir in den feingliedrigen Skribentzeichnungen von 1973 bereits die Hinwendung zum altmeisterlich anmutenden Detailreichtum, wie er in den kommenden Jahren besonders in den Tiefdruckarbeiten zur vollen Entfaltung kommen sollte. So ist denn zweifellos ein Gipfelpunkt im Schaffen von Gerenot Richter in der 1983 begonnenen Folge von sechs großen gleichnishaften Bilddichtungen voller Fantasiereichtum und Zitaten aus der Kunstgeschichte zu sehen. Das Aquatintablatt „Gleichnis III“ von 1987 dürfte der Höhepunkt unserer Ausstellung sein. Mit dem Untertitel „Eustachius“ bezieht es sich auf jenen Heiligen, dem Dürer bereits um 1500 ein bildnerisches Denkmal setzte. Der Feldherr Eustachius soll zum Christentum bekehrt worden sein, nachdem er auf der Jagd im Geweih eines Hirsches ein Kreuz erblickt hatte. Dieses Bildmotiv aus dem Dürer-Blatt fehlt allerdings bei Richter, der sich auf das Zitat eines von einer Burg bekrönten Berges beschränkte. Im Gegensatz dazu ist in der linken Bildhälfte die Schlossruine von Bad Muskau zu sehen. Gedeih und Verderb, die auch in der umgebenden Natur sichtbar werden, in einem Bild vereint als Sinnbild für die Gefährdungen auf unserem Planeten …

Den vollständigen Text finden Sie in der PDF am Ende dieser Seite.


Gerenot Richter – Malerei und Grafik aus der Kunstsammlung Lausitz,
Ausstellung vom 22.11.2006 bis 14.01.2007

Laudatio: Gork (*1949), ehemals Lehrer für Kunsterziehung, Musik und Deutsch, Künstler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kreismuseum Senftenberg, Aufbau der Kunstsammlung Lausitz

Abbildung: Gerenot Richter, WV I-25 Tagebau, 1967, Lithographie, Feder / Kreide, 33 x 55 cm


Gerenot Richter – Lithographien und Radierungen aus 25 Jahren (1964 bis 1989)

Ausstellung vom 7. April bis 8. Juni 2006

Kiezspinne in Berlin


Flachdrucke

I-04 Schlafende
I-06 Sinnender Junge
I-17 Jachthafen Warnemünde
I-23 Dorfstraße am Hafen
I-24 Brücke
I-26 Kabelkran Warnemünde
I 28 Fischerbastei
I-29 Kleine Stadtbrücke
I-30 Mühlen bei Lütten Klein

Tiefdrucke

II-034 Bautzen *
II-083 Museumsinsel
II-100 Fragmente *
II-102 Im Schloßgarten
II-103 Die Versuchung
II-108 Das Kind *
II-127 Merkwürdige Gestalten
II-129 Waldsee
II-131 Nach dem Sturm I *
II-133 Nach dem Sturm II A
II-134 Mondnacht II
II-146 Wald
II-182 Torso IX (Weide)
II-183 Torso X (Strandgut)
II-188 Gleichnis I *
II-196 Unter Bäumen I *
II-199 Stilleben mit Tuch - für K.K. *
II-202 Unter Bäumen II
II-209 Sommer mit M.S. *
II-218 Rostock (Schwaansche Landstraße)
II 219 Wismar (Georgenkirche)
II-220 Dresden (Elbbrücke mit Katholischer Hofkirche)
II-223 Berliner Mahnmal *
II-225 Für totale Abrüstung II
II 242 Drei Grazien *
II-243 Friedhofspforte (Abbildung für diesen Beitrag)
II-254 Wismar (St. Nicolai an der Grube)
II-255 Nach dem Sturm
II-258 Jüdischer Friedhof
II-259 Meinen Eltern
II-260 Brügge
II-261 Die neue Friedrichsbrücke II *
II-265 Schloß Weißensee/Thür.
II-266 Park Hohenrode
II-267 Lausitzer Fischteich
II-268 Lausitzer Dorf
II-269 Jüdischer Friedhof
II-275 Das blaue Wunder
II-277 Weiher
II-282 Begegnung (Bremer Iris) *
II-284 Albrecht Altdorfer zum 450. Todestag
II-287 Waldsaum
II-301 Schloßruine Muskau
II-302 Strandläufer
II-303 Bautzen
II-304 Herbstlicht *

[* in das Nachlassverzeichnis Private Künstlernachlässe aufgenommen]

Richters Gleichnisse in der Kommunität Grimnitz


Laudatio von Peter H. Feist zur Ausstellungseröffnung am 2. September 2006

Der Kommunität Grimnitz ist sehr zu danken, dass sie erneut eine Gelegenheit bietet, dem grafischen Werk von Gerenot Richter zu begegnen. Ich danke dafür, dass ich diese Begegnung mit einigen Sätzen eröffnen darf. Ich verstehe sie als kleine Zusätze zu dem klugen Text von Roland Berger in dem Begleitheft zur Ausstellung.


Mir liegt sehr am Herzen, die Bedeutung und Schönheit von Gerenot Richters Arbeiten nachdrücklich hervorzuheben, denn diese haben zwar längst zu Recht viele Bewunderer gefunden, aber nehmen ganz zu Unrecht noch längst nicht den Platz im vorherrschenden Bild von der Kunst unserer Zeit ein, der ihnen zustünde.


Gewiss wurde einiges davon gar nicht so selten sowohl in der DDR als auch als Bestandteil von Überblicksausstellungen vor 1989 in der Bundesrepublik und in zehn weiteren Ländern ausgestellt. Aber es waren zu wenige und vorwiegend nicht sehr große Blätter. So konnten sie nicht jenes dauerhafte Aufsehen erregen, das heute nötig ist, um berühmt zu werden.

Hinzu kommt, dass Richter eigentlich nur nebenbei als Grafiker arbeiten konnte, der seine Blätter auch immer selbst druckte. Zur Hauptsache war er als Hochschullehrer für die Ausbildung seiner Studenten der Kunsterziehung und in Leitungsfunktionen an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig, und als jemand, der ihm in Funktionen und vielen Sitzungen nahe war, weiß ich, das er solche verantwortungsvolle Ganztagstätigkeit sehr ernst nahm.

Das hielt ihn, wie fast jeden von uns, nicht vom Zorn über unnütze Aufgaben und sinnlose Sitzungen ab, die die Zeit für schöpferisches Arbeiten stahlen. Ich möchte hier aber weder über seine Biografie noch über seine ganze Entwicklung als Künstler sprechen, sondern nur einige Anmerkungen zum hier Ausgestellten machen. Es stammt aus den Jahren, in denen Richters Kunst ihren ganz eigenen Charakter gewonnen hatte, d. h. seit etwa 1974.

Es waren nur rund fünfzehn Jahre, die ihm vergönnt waren. Eigentlich müsste zumindest zu jedem der größeren Blätter sehr ausführlich gesprochen werden, und vor allem müsste man zum Betrachten ganz nahe herantreten, um die Einzelheiten, auf die es ankommt, überhaupt sehen zu können. Ich kann nur dazu ermutigen, das zu tun, und versuche, zu verallgemeinern.

Gerenot Richter konzentrierte sich auf den Tiefdruck

D. h. Radierung, Aquatinta, Kaltnadel, Flächen- und Strichätzung. Er erprobte verschiedene Druckfarben und auch Drucke mit zwei sehr verhaltenen Farbtönen. Diese Verfahren des »Machens« immer besser zu beherrschen, ihre spezifischen Wirkungsmöglichkeiten zu erkunden und auch zu bereichern, war ihm ein wichtiger Handlungsantrieb.

Das gilt eigentlich für jeden ernsthaften Künstler. Im Verbund mit seinen Aussageabsichten, von denen noch zu reden sein wird, ging er bis zu extremen Leistungen. In manchen großen Blättern versammelte er eine überwältigende Fülle sich kompliziert verflechtender Formen. Andererseits betrieb er in hier nicht gezeigten Arbeiten eine schier unglaubliche Miniaturisierung, bei der die Darstellung von Dingen und weiten Räumen nur unter der Lupe erzeugt werden konnte.

Richter entschied sich für haarfeine, scharfe Linien, die etwas Darzustellendes genau umreißen, die in ihrem Nebeneinander eine Oberflächenstruktur erfassen oder die in schwungvoller oder verschlungener Führung über die Bildfläche Bewegungen und räumliche Beziehungen suggerieren. Er kombinierte diese Linearität meistens mit der Bildwirkung großer, reiner Flächen entweder unbedruckten Papiers oder von düsterer Tönung. Sie bilden in der Regel den Himmel ab, aber auch eine Schneelandschaft oder den Strand, Gemäuer oder einfach den Hintergrund für Gegenstände.

Ein scharfer Beobachter, der herausforderte

Richter war ein scharfer Beobachter, ein Nachdenkender und ein Fabulierer. Die sichtbare Seite der Welt in ihrer unermesslichen Vielfalt war immer sein Ausgangspunkt, und weil er ein Realist sein wollte, blieb sie im Bild auch erhalten. Das Nebeneinander von Dingen und von Nahem und Fernem, also Großem und Kleinem, ergab in der überraschenden Zuspitzung einen Bildsinn.

Das Bild von Menschen am leeren Strand erzählt etwas über menschliches Verhalten, das Bild von gebrochenen Bäumen spricht von Naturgewalten. Die Sturmkatastrophe von 1980 blieb ihm ein prägendes Erlebnis. Jede Einzelheit erscheint genau so wie in der Realität, und sie kann gar nicht kompliziert genug sein, damit wir von der Genauigkeit der Darstellung überzeugt werden.

Aber dann werden diese Details neu gemischt und mit dem einen oder anderen, meist winzigen Einsprengsel verbunden, das aus einem anderen, alten Kunstwerk herrührt, von Dürer oder Brueghel, Caspar David Friedrich oder Radziwill, auch Zeitgenossen wie Magritte und Janssen. Damit wird plötzlich eine weitere Geschichte erzählt, eine Geschichte von Vorfahren und Kulturtraditionen, von Bewahrenswertem, weil Wertvollem. Richter demonstrierte uns, was er weiß und was er kann. Das ist ein gutes Recht eines Künstlers, und auch Betrachter schätzen das immer.

Richter ließ uns aber vor allem erfahren, was Bilder vermögen

Er nannte eine Reihe großer Blätter Gleichnisse. Die kennen wir aus dem Neuen Testament der Bibel. Eine alltägliche Geschichte wird zum Gleichnis für Anderes, Tieferes, Umfassenderes. Richter beharrte darauf, dass im Grunde alle Bilder Gleichnisse sind. Wir bekommen ein Stück Landschaft gezeigt und erfahren daraus eine Meinung über den Verlauf des Lebens, über Zusammenhang und Chaos, über Sorgen und Hoffnungen.

Im Rückblick erkennen wir deutlicher, wie das Lebensgefühl, das sich in den 1980er Jahren ausbreitete, in seiner Ambivalenz von Zuversicht und Katastrophenangst artikuliert wurde. Die üppige Fülle bekommt etwas Erstickendes, die organischen Formen der Farne und Blätter werden zu kalten, stechenden, technischen Gebilden. Richter gehörte zu den Künstlern, die ganz bewusst und mit guten Gründen künstlerische Traditionen bewahren und deren Werte lebendig halten. Lebendig halten hieß, mit Dürers Kupferstichen etwas Neues zu schaffen.

Richter vereinte das Altmeisterliche mit dem modernen Prinzip, den Zugang zur Bildaussage zu erschweren, damit die Betrachter sich nicht mit einem flüchtigen Blick begnügen können. Das ist Erziehung zur visuellen und geistigen Anstrengung. Ich sehe auch, genau wie Roland Berger, noch etwas anderes. Richter, der die Kunst grundsätzlich sehr ernst nahm, wusste um den Reiz des Unerwarteten und Unlogischen und versteckte gern eine Prise witzigen Spiels im dichten Geflecht seiner Farnkräuter und knorrigen Bäume. Wie die meisten Künstler hat er seine Absichten nicht mit eigenen Worten erläutert. Wir können in einem jetzt veröffentlichten Brief an einen Nürnberger Kunstkenner etwas über seine Formvorstellungen, vor allem aber über drucktechnische Probleme und Schwierigkeiten nachlesen. Selbst der Titel der Werke bringen uns nicht immer auf die richtige Spur.

Die Einladung zur heutigen Ausstellung zeigt einen Ausschnitt aus dem Blatt »Gleichnis III« von 1987, das mit dem Zusatz »Eustachius« versehen ist. Den Namen Eustachius bekam ein legendärer römischer Feldherr, als er sich taufen ließ, nachdem ihm während einer Jagd der Gekreuzigte zwischen den Geweihstangen eines Hirsches erschienen war. Wegen seines neuen Glaubens erlitt er später den Märtyrertod und galt als Heiliger seit dem Mittelalter als einer der vierzehn Nothelfer. Von dieser Legende stellte Richter nichts dar. Nur die Burg am fernen Horizont ist seitenverkehrt aus einem Kupferstich Dürers übernommen, der die Bekehrung des jagenden Waffenträgers wiedergibt. Allein ein Spezialist kann das identifizieren, ebenso, dass das Bauwerk im Mittelgrund die Ruine des im Krieg zerstörten Schlosses Muskau ist. Hauptmotive im Vordergrund sind vielmehr eine vom Sturm gestürzte Buche und sie überragende wuchernde Pflanzenstengel, die ganz ähnlich schon in einem Kupferstich von 1979 auftauchten. Der entwurzelte Baum, die Ruine mit der Bauplastik einer segnenden Figur und die Kräuter lassen sich als Gleichnis für den Kreislauf von Stirb und Werde, Zerstörung und neuem Leben verstehen. Für eine Verknüpfung mit der Eustachius-Geschichte finde ich keine Erklärung.

Das beunruhigt mich an diesem meisterhaften Kupferstich. Meine Vernunft will deshalb revoltieren. Aber dann fällt mir wieder ein: Beunruhigung, Anstachelung von Neugier gehört mit zum Sinn von großer Kunst, von dem kostbaren Lebenswert, den sie für uns bereithält.


Später publiziert in: Peter H. Feist, Nachlese – Aufsätze zu bildender Kunst und Kunstwissenschaft. Herausgegeben von Peter Betthausen und Michael Feist, Lukas Verlag 2016, S. 131-133


Abbildung: Gerenot Richter: II-263 Gleichnis III (Eustachius), 1987

„Gleichnisse. Zur Erinnerung an Gerenot Richter“ Ausstellung im September 2006 in der Kommunität Grimnitz in Joachimsthal (Brandenburg)


Ausstellung in der Kommunität Grimnitz e.V.


Gedanken von Roland R. Berger im Katalog der Ausstellung Gerenot Richters „Gleichnisse“ vom 02.09. bis 9.11.2006 in Joachimsthal

Gleichnisse begleiten die Zivilisationsgeschichte der Menschheit; sie sind von uralten Erfahrungen in Sachen Vernunft, Moral, Religion und Welterklärung geprägt. Manche Gleichnisse erinnern an Sprichwörter und geläufige Redensarten, haben ihren sozial-historischen Ursprung; sie erleben Zeiten der Allgegenwärtigkeit und des Vergessens. Aus der Bibel sind die Gleichnisse Jesu bekannt, parabelhafte Erzählungen, zumeist aus zwei Teilen bestehend. Die erste Aussage, dem täglichen Leben und der Anschauung entnommen, verbindet sich mit der zweiten, die gewissermaßen die Moral der Geschichte verdeutlicht. Diese muss nicht mit einer plumpen Lehre, mit erhobenem Zeigefinger ausgesprochen werden. Die Sprache vermag zwar mittels der Worte unsere Phantasie anzuregen, eventuell auch Bilder vor dem geistigen Auge wachzurufen, aber Worte sind Begriffe und verleiten zum abstrakten Denken, dem die sinnliche Entsprechung fehlt.

Gleichnisse in Bildern zu erkennen, bedarf einer Voraussetzung

Die Werke der bildenden Kunst erzählen mit anders gearteter Anschaulichkeit und folglich müssen bildhafte Darstellungen von Gleichnissen eine poetische Kraft entwickeln, in der Schilderung eines Sachverhaltes so viel Brisanz innewohnt, dass der Betrachter die belehrende Verallgemeinerung aus der Anschauung erahnen und erfahren kann. Gleichnisse in Bildern zu erkennen, bedarf der Voraussetzung, in Bildern lesen zu können. Das heißt, dass etwas über das aus dem Bilde sinnlich Erfahrbare Hinausgehendes, sich als eine intellektuelle Ebene vom Gewußtem auftut und dazugesellt. Diese Kopplung des Wissens mit unserer normalen sinnlichen Ich-Erfahrung, diese Rückbeziehung erschließt uns die komplexe inhaltliche Bedeutung des Bildes. Gleichnisse sind also auf Kenntnisse angewiesen, zumindest ist es so, dass die Gestaltung des Bildes dem Betrachter wenigstens Rätsel aufgibt, die zu lösen er neugierig gestimmt wird.

Gerenot Richters druckgrafisches Werk, in nur einem Vierteljahrhundert entstanden, zeigt zunehmend eine Konzentration auf gleichnishafte Bilder. In einer sich verschränkenden Bezugnahme zwischen Mensch, Natur und Kunst begleitet Richter mit verschlüsselten Kommentaren seine Zeit. So bewusst ausgewählt und veristisch erfasst die zumeist landschaftlichen Motive in den Bildern auch erscheinen, so tiefsinnig sind sie in den raffinierten Kompositionen verwoben mit metaphorischen oder allegorischen Anspielungen und bewahren deshalb, über die Entstehungszeit in den letzten Jahren der DDR hinaus, ihre künstlerische Bedeutung.

Naturkosmos mit Wissens- und Erkenntnisinseln

Dem aufmerksamen Betrachter offenbaren sich in den Bildgeflechten und Bildlabyrinthen neue Gedankengänge, weil es scheinbar unaufhörlich etwas zu entdecken gibt. Dieses Finden und Erstaunen will kein Ende nehmen. Natur erscheint unendlich, quellend und wuchernd. Aber beim Wandern durch diese Bildwelt werden wir gewahr, dass Richter in diesem Naturzauber Gefährdungen nicht ausspart, sie geradezu als Signal hervorhebt und gewissermaßen Idylle und Katastrophe höchst dialektisch in einem melancholischen Blickwinkel auf die Welt erfasst.

Zugleich versteckt Richter in seinem Naturkosmos kleine Wissens- und Erkenntnisinseln, kreuz und quer und wohlbedacht der Kunstgeschichte entnommen. Dieses Einweben von Zitaten, so spielerisch und zufällig es erscheinen mag, vertieft nicht nur die Bildidee und weitet sie geradezu surrealistisch aus, sondern ist oft genug eine Huldigung gegenüber Künstlern, die Richter sehr verehrte, weil sie ihm mit ihren Bildfindungen und Figurationen beispielhaft nahestanden und Ausdrucksformeln für menschliche Befindlichkeiten weit über ihre eigene Zeit hinausgefunden und ersonnen hatten.

So verwundert es nicht, dass Richters Zeitreise bei den großen Moralisten frühbürgerlicher Aufbruchszeit Dürer und Breughel Anleihen aufnahm, weil in deren Bildern schon Zeichen gesetzt waren, zwischen denen die Menschheit wandelt: Himmel und Hölle, Paradies und Verdammnis. Die ethische Verwandtschaft führt Richter aber auch zu Künstlern des 20. Jahrhunderts wie Ernst Barlach, Gerhard Marcks oder Pablo Picasso.

Großartige Gleichnisse des Lebens schlechthin

Richters Bilder mit der üppigen Vegetation, den witzigen und anrührenden, bisweilen auch bildungsbeflissen anmutenden Einsprengseln aus dem kunsthistorischen Fundus, mit diesen Durchblicken auf Hintergründe und Hintergründiges verdichten sich zu großartigen Gleichnissen des Lebens schlechthin: Werden und Vergehen, Treue und Verrat, Bewahrung und Vernachlässigung. Insofern sind sie mit ihren Momenten der Katastrophendarstellung auch Bilder eines beinahe verzweifelten Warnens, dem, angesichts der Lage, nur noch ein Konstatieren der Situation mit vehementer Eindringlichkeit übrigbleibt.


Das Bild der Schändung der Natur wird zum Gleichnis für das, was Menschen angetan wurde, wird und werden kann. Es gibt wohl keinen Künstler, der bei der Darstellung von Bäumen mit derartiger Intensität wie Richter an das Menschsein und Leiblichkeit erinnert.


Neben diesen ernsthaften Querverbindungen, zu denen auch alternative Glücksorte zählen, an denen Liebespaare zu sich finden, fallen Skurrilitäten auf, Zitate, wo Richter Scherz und Ironie einbringt oder ein merkwürdiges Spiel betreibt, geheimnisvoll und vieldeutig, zuvörderst zeigend, dass er bei „seinen Meistern“ in die Schule gegangen ist. Durch die Jahrhunderte hat sich Richter gründlich in der Radier- und Zeichenkunst umgeschaut, denn man findet allenthalben in seinen Arbeiten Hinweise auf Albrecht Altdorfer, Hercules P. Seghers, Giovanni Battista Piranesi, Rodolphe Bresdin, Charles Méryon und andere.

Handwerkliche Neugier und Traditionsverständnis

Richters Suche nach Verwandtschaft war sowohl von handwerklicher Neugier als auch von einem besonderen Traditionsverständnis der realistischen Kunst geprägt. Realismus war für Richter kein dogmatisches Konzept. Authentische Schilderung, fußend auf fleißigem Naturstudium, genügte ihm nicht, eine zweite Gegenstandsschicht, jenes Hinzugewusste und intellektuell Anregende wurde angestrebt. Und oft kommt noch eine dritte Ebene ins Spiel, nämlich die provokant und verführerisch durch die verblüffend artifizielle Gestaltung an den Betrachter herangetragene Forderung, sich mit dieser komplizierten und komplex strukturierten Bildwelt zu beschäftigen.

Wenn auch das Betrachten der Werke Geduld und Muße erfordert, so wird der Augensinn und der Geist aber doch überreich belohnt: mit einem fantasievollen Bildgefüge, untersetzt von einer furiosen Idee und getragen durch eine unwahrscheinlich meisterhafte grafische Gestaltung. Unterschwellig ist das natürlich eine Kritik an der totalitären und zugleich seichten Bilderflut in unserer Mediengesellschaft.

Wichtig erscheint, dass Gerenot Richters Orientierung an dieser dichten und sehr langen Traditionslinie in der DDR-Kunst keine Einzelerscheinung war, wenngleich er mit seinen Arbeiten in der Ostberliner Kunstszene als Einzelgänger galt. Richter ist vielleicht unter diesem Aspekt mit Werner Tübke und dessen Schaffen vergleichbar. Dieser erwähnte in einem Interview, dass er auf einer „perforierten Zeitachse“ lebe und arbeite und zum Beispiel Jacopo da Pontormo als Kollegen ansehe. Der Personenkreis einer „gefühlten Zeitgenossenschaft“ ist in Richters Bildern ebenso offensichtlich.

Gleichnisse für soziale Befindlichkeiten

Und hinzu kommt mit dem Beginn der 1970er Jahre, als Richter auf dem Wege zu seinem Individualstil war, eine generelle Zunahme poetisch-erzählerischer Momente in der DDR-Kunst sowie ein wachsendes und waches Bewusstsein der Künstler, was man mit Bildern an gesellschaftlicher Problematik ausdrücken kann. Bilder wurden oft zu Zeichen und Gleichnissen für soziale Befindlichkeiten, Auslöser für Diskussionen und sie gereichten im „Leseland DDR“ zum diffizilen Kommunikationsmittel, an denen es in den eigentlich dafür zuständigen Lebensbereichen fehlte.

Gerenot Richter hat sich auf seine Weise diesem Anliegen gestellt, verantwortungsvoll, ohne auf penetrant aktuelle Bezüge angewiesen zu sein. Der besorgte Ethiker, dem leider ein so genanntes Alterswerk nicht beschieden war, schuf Bilder, in denen das Leben hymnisch gefeiert und Verlorenes elegisch in Erinnerung bleibt. Und ebenso werden Richters Bilder bleiben, sind sie doch Ausdruck für ein sehr individuelles und sensibles Schöpfertum in einer widersprüchlichen Zeit, versehen mit sinnlich-geistvollen Flügeln, tragfähig auf Zeiten hinaus.

Abbildung: Gerenot Richter: II-222 Gleichnis II (Die Blinden), 1985/86


Hoyerswerda – Impressionen vom Aufbau
Malerei und Grafik - Gerenot Richter

Ausstellung im August 2006 (Eröffnung am 3. August)

Stadtmuseum im Schloss in Hoyerswerda


Guasch-, Aquarell- und Pastellarbeiten

Hoyerswerda-Neustadt (I)
Aquarell (1964), 29,8 x 41,5 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Hoyerswerda-Neustadt (II)
Aquarell (1964), 29,7 x 41,8 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Baustelle Hoyerswerda-Neustadt
Filzstift schwarz, aquarelliert (1964), 42 x 59,2 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Zirkus Orandi in Uhyst
Aquarell (1964), 41,4 x 59,1 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Öl-, Tempera- und Deckfarben

Blick auf Hoyerswerda-Neustadt
Deckfarben, Filzstift schwarz, (1964)
41,6 x 59,1 cm [ohne Signum / Nachlassstempel] (unvollendet)

Blick auf Hoyerswerda-Neustadt
Deckfarben auf dünner Pappe (1964)
49,7 x 69,5 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Blick auf Hoyerswerda-Neustadt
Deckfarben auf dünner Pappe, gerahmt (1965)
45,5 x 59,5 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Aufbau Hoyerswerda-Neustadt
Filzstift schwarz, übermalt mit Deckfarben (1964)
41,8 x 59,5 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Aufbau Hoyerswerda-Neustadt
Öl auf dünner Pappe (1964)
49,7 x 69,0 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Aufbau Hoyerswerda-Neustadt
Deckfarben, Filzstift schwarz (1964)
41,8 x 59,2 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Handzeichnungen

Aufbau Hoyerswerda-Neustadt
Pinselzeichnung, sepia (1964)
42 x 59,2 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Blick auf Hoyerswerda-Neustadt
Kreide, sepia (1964)
41,9 x 59,2 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Aufbau Hoyerswerda-Neustadt (I)
Kreide, schwarz (1964)
41,9 x 61,1 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

Aufbau Hoyerswerda-Neustadt (II)
Kreide, schwarz (1964)
42,1 x 61,8 cm [ohne Signum / Nachlassstempel]

(Ausstellung mit 10 Gemälden und 4 Zeichnungen. Bei den Werken handelt sich auch um den Gesamtbestand der Schenkung)

Gerenot Richter – Gleichnisse

Ausstellung vom 2. September bis 9. Dezember 2006

Kommunität Grimnitz in Joachimsthal


Tiefdrucke

Gleichnisse *
II-188 Gleichnis I
II-192 Ging heut morgen über‘s Feld
II-210 Der ungetreue Hirt
II-222 Gleichnis II
II-263 Gleichnis III
II-282 Begegnung
II-304 Herbstlicht

Folge Nach dem Sturm *
II-131 Nach dem Sturm I
II-132 Nach dem Sturm II
II-140 Nach dem Sturm III
II-141 Nach dem Sturm IV
II-142 Nach dem Sturm V
II-153 Nach dem Sturm VI

Die Folge Zwölf Torsi *
[als Zusammendruck von 12 Platten]
II-172 Torso I (Buhnen)
II-173 Torso II (Stubben)
II-174 Torso III (Linde)
II-175 Torso IV (Strandgut)
II-176 Torso V (Buche) 
II-179 Torso VI (Fichte)
II-180 Torso VII (Pappel)
II-181 Torso VIII (Strandgut)
II-182 Torso IX (Weide)
II-183 Torso X (Strandgut)
II-184 Torso XI (Weide)
II-185 Torso XII (Fichte) 

Folge Strandläufer *
II-061 Strandläufer I
II-062 Strandläufer II
II-063 Strandläufer III
II-064 Strandläufer IV
II-065 Strandläufer V
II-066 Strandläufer VI
II-138 Strandläufer VII

II-094 Funde am hohen Ufer *
II-213 D 1500 – Das Meerwunder
II-105 Das Neugeborene – Hommage zum Jahr des Kindes *
II-196 Unter Bäumen I *
II-202 Unter Bäumen II
II-245 Manneken Pis (Antwerpen) *
II-256 Gemäuer *
II-253 Füllhorn und leere Scheuer *
II-169 Vita II (nach Mantegna)
II-089 Amaryllis
II-100 Fragmente (in zwei Einzeldrucken, in einem Passepartout zusammengebracht) *
II-081 Am Bodden – Gerhard Marcks zum 90. Geburtstag *
II-082 Winter in Thüringen *
II-087 Usadel III *
II-047 Erinnerung an L. *
II-207 Für M.S. *
II-209 Sommer mit M.S. *
II-058 Gipsbruch im Harz *
II-158 Frühling mit A.D. *
II-067 Für Ludwig *
II-091 Pablo im Darß
II-199 Stilleben mit Tuch – für K.K. *
II-108 Das Kind

Dürers 450. Todestag *
II-075 Der Traum des Podagristen
II-076 Melencolia
II-077 Das Meerwunder
II-078 Das große und das kleine Glück

Aus der Folge Berliner Ansichten | Berlinansichten
II-223 Berliner Mahnmal *
II-242 Drei Grazien *
II-261 Die neue Friedrichsbürcke II *

Gerenot Richter – Pastelle und Graphiken

Ausstellung vom 10. Juli bis 6. Oktober 2002

Galerie am Schloss in Senftenberg

Werke aus dem Museumsbesitz des Landkreises Oberspreewald-Lausitz
(gemeinsam mit Herbert Tucholski, Maler und Grafiker)


Tiefdrucke

Folge Lausitzer Landschaften I - IV *
II-252 Heller Morgen
II-253 Füllhorn und leere Scheuer
II-256 Gemäuer 
II-262 Sonne im Park (Schloss Milkel)

Aus der Folge Alles verfault, was ohne Wurzeln ist. Jewtuschenko
II-270 Lichtung
II-276 Dorf
II-277 Weiher

Folge ... und die Erde wird lange feststeh’n und aufblüh’n im Lenz
II-286 Alter Obstgarten
II-287 Waldsaum
II-288 Üppiger Wuchs *
II-289 Torsi im Stadtpark *
II-291 Villa im Bärenklau *
II-292 Bergstraße *
II-293 Parkwege
II-294 Parkmauer *
II-295 Tümpel *
II-296 Schlosspark *
II-297 Verlassenes Gehöft *
II-300 Bäume am Feldrand *

Diese Exponatliste entspricht dem aktuellen Stand der Recherche und befindet sich derzeit noch in Bearbeitung.
[* in Exponatliste Nachlassverzeichnis Private Künsternachlässe aufgenommen]


Die Exponatliste ist bereits mit den Einzelseiten der Werke von Gerenot Richter auf dieser Website verknüpft. Dort finden Sie alle notwendigen Angaben zum jeweiligen Werk sowie künftig viele weitere Informationen.

Von Fremdheit und Nähe


Eine Ausstellung in der Galerie Albstadt vom 25. November 2001 bis 13. Januar 2002

Begonnen hatte alles mit den druckgrafischen Blättern von Hans Otto Schönleber (1889-1930), dem Karlsruher Arzt, der nach Ende des 1. Weltkrieges als Künstler in München und Stuttgart arbeitete.

Das „Studio Bildende Kunst" in Berlin-Lichtenberg präsentierte im August / September 1992 – dem „süddeutschen Grafiker zum Gedächtnis", so der Untertitel der Ausstellung – einen Querschnitt seiner Kupferstiche und Holzschnitte. Im Zuge der Vorbereitung eines neuen Werkverzeichnisses und der Gesamtschau der Druckgrafik H. O. Schönlebers in der Städtischen Galerie Albstadt konnte 1996 / 1997 Verbindung zu der Berliner Institution aufgenommen werden.

Die Mitarbeiter des „Studio Bildende Kunst" standen mit der Tochter des Künstlers, Marianne Schönleber, in Verbindung. Einer von ihnen, Volkhard Böhm, war es auch, der – auf Galerien im Bundesgebiet angesprochen, deren Sammlungsschwerpunkt auf Zeichnung und Druckgrafik liegt – den Kontakt zwischen der in Berlin lebenden Ingeborg Richter, Witwe des in Dresden gebürtigen Künstlers Prof. Dr. Gerenot Richter, und der Städtischen Galerie Albstadt herstellte.

Gelegentlich mehrerer Berlin-Aufenthalte wurde aber nicht allein Hintergrundwissen über Sammler und Künstler im Osten sowie das kleine im Südwesten Deutschlands liegende Kunstmuseum ausgetauscht, konzeptionelle Fragen sowie Bild- und Textinformationen weitergegeben, sondern es wuchs eine intensive Zusammenarbeit in der Sache und eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Verbundenheit zwischen Menschen. Distanz weit voneinander entfernter Orte, Fremdsein von Zeithintergründen und Künstlernamen konnten durch die gemeinsame Nähe zur bildenden Kunst überbrückt, überwunden werden.

Weiterbestand einer umfangreichen Sammlung

Ingeborg Richter befand sich zum damaligen Zeitpunkt auf der Suche nach einer geeigneten Heimstatt für einen Teil der gemeinsam mit ihrem Mann Gerenot Richter zusammengetragenen Sammlung druckgrafischer Blätter von in der DDR arbeitenden Künstlern. Mit der Schenkung Gerenot und Ingeborg Richter geht nun – auf Veranlassung der Witwe des Künstlers, ohne deren Einsatz Ausstellung und Katalog nicht denkbar gewesen wären – im Herbst 2001 ein Komplex dieser Privatkollektion in die Graphische Sammlung der Städtischen Galerie Albstadt über. Die Schenkung umfasst 300 druckgrafische Blätter von über 100 Künstlerinnen und Künstlern der DDR aus der Zeit von 1949 bis 1990, worunter sich auch einige Radierungen des verstorbenen Künstler-Sammlers selbst finden.

Gerenot Richter erhielt im Jahr 1955 einen ersten Lehrauftrag für Malerei und Grafik am Institut für Kunsterziehung der Humboldt-Universität Berlin, promovierte 1957, wurde 1971 zum außerordentlichen Professor und 1979 zum Professor mit künstlerischer Lehr-Tätigkeit für Malerei und Grafik an der Humboldt-Universität berufen. Lebendigen Zugang zur Sammeltätigkeit des Ehepaares Richter und außerordentlich kenntnisreiche Einblicke in die (druck)grafische Kunst der DDR vermittelt Professor Peter H. Feist, von 1982 bis 1990 Direktor des Instituts für Kunstgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR, in seinem einführenden Text des vorliegenden Kataloges.

„Für die Sammlung in Albstadt bedeutet die Schenkung vor allem eine Vervollständigung des Sammlungsbestandes einzelner Künstler durch jeweils frühe Werke, aber auch des Gesamtbestandes an DDR-Grafik. [...] Der kundige Betrachter wird Bekanntes finden, seien es nun einzelne Blätter oder Künstlernamen, er wird Neues entdecken und die Vielfalt und den Reichtum des grafischen Schaffens einer Kunstregion erkennen können.“, schließt Volkhard Böhm in sein im Herbst 2001 verfasstes Resümee zur Schenkung Sammlung Gerenot und Ingeborg Richter ein (Typoskript, Berlin 2001).

In der Tat ist in dieser jüngst in die Städtische Galerie überkommene Sammlung mit Werken von Hubertus Giebe, Dieter Goltzsche, Hans Theo Richter, Max Uhlig, Claus Weidensdorfer, Werner Wittig und anderer die Dresdener Kunst gut vertreten, der Tradition – von Otto Dix bis hin zu jungen Dresdener Künstlerinnen und Künstlern – seit Bestehen des Hauses verpflichtet. Darüber hinaus finden mit der Schenkung Richter besonders zahlreich Arbeiten aus dem Ost-Berliner Umkreis, der Leipziger Schule und anderer internationaler Künstler Eingang in die Städtische Galerie und bieten damit Neuland für vielfältige Entdeckungen im Bereich druckgrafischen Arbeitens im Osten.


Der Artikel von Clemens Ottnad wurde entnommen aus dem Katalog zur Ausstellung „Sammlung Gerenot und Ingeborg Richter“, Veröffentlichungen der Galerie Albstadt Städtische Kunstsammlungen Nr. 142 / 2001, ISBN 3-934439-14-4

© VG BILDKUNST Bonn 2001
© Galerie Albstadt und Autoren


Volkhard Böhm über den Grafiker Gerenot Richter

Er war ein Vollblutgrafiker, ein Radierer par excellence. Gerenot Richters Radierungen und Aquatinten sieht man die Freude und Hingerissenheit ihres Schöpfers an den detaillierten Schönheiten der geschauten und bewunderten Natur und den Formfindungen großer Kollegen der Vergangenheit an. In vielen seiner Bilder verschmolz er beides zu einer genialischen Einheit. Die Wunder der Natur und das Wunder menschlicher Kreativität im überzeugenden Künstlertum offenbaren in seinen Bildern eine Zusammengehörigkeit, die so überraschend wie logisch ist.


In den besten dieser Bilder kann der geduldige, forschende, aber auch genießende Betrachter ganz neue Einsichten in die Einbindung des Menschen, der menschlichen Leistung in die Großartigkeit von Flora und Fauna finden. Im Nachspüren bis ins kleinste Detail und im Aufzählen ihrer Vielfältigkeit liegt die Faszination seiner graphischen Blätter, liegen aber auch ihre Grenzen.

Gerenot Richter hat lange um die Anerkennung seines künstlerischen Schaffens ringen müssen. Er gehört zu den Künstlern, deren Werke zwar früh von kenntnisreichen Sammlern gewürdigt wurden, aber erst spät erkennt die Kunstkritik ihren Wert. In der Mitte der 1980er Jahre gelang ihm dieser Durchbruch. In dieser kurzen Zeit, bis zu seinem frühen Tod 1991, häuften sich dann die Ausstellungen.

Mitte der 1970er Jahre hat Richter sein Thema und sein künstlerisches Ausdrucksmittel gefunden. Seine Technik wird der Tiefdruck mit all seinen Möglichkeiten. Als Künstler und als Drucker – er druckt fast alle seine Blätter selbst – bringt er es zu überzeugender Meisterschaft. Sein Thema wird das Gleichnis. Zwar nennt er „nur“ eine Folge von zwischen 1983 und 1988 entstandenen Grafiken „Gleichnisse“; dessen ungeachtet, haben fast alle seine in der reifen Phase entstandenen Grafiken Gleichnis-Charakter – ausgenommen wenige reine Landschaftsradierungen.

Das Thema: Schönheit und Gefährdung von Natur und Mensch

Dabei vereinen Richters Gleichnisse sowohl das Wesen der Parabel als auch der Allegorie. Er erzählt Geschichten, um zu einer konkreten Aussage zu kommen, er verklausuliert Bildelemente, denen reale Landschaften, reale Personen oder reale Kunstwerke zugrunde liegen, deren umfassende Aussage erst in der Entschlüsselung liegt. Es geht ihm um die Schönheit und Gefährdung von Natur und Mensch, um Vergänglichkeit und den Sinn allen Lebens. Das sind Fragen, die er immer wieder aufgreift. Anleihen und Bestätigung holt er sich in der älteren Kunst, bei Schongauer etwa, oder bei Dürer, Bruegel, Friedrich.

Diese Zitate werden deutlich benannt (mitunter auch im Titel), fügen sich harmonisch ins Bildganze ein, verschmelzen zu einem einheitlichen Bild. Einige werden nur für den wirklichen Kunstkenner sichtbar, weil sie so selbstverständliches Kompositions- und Gestaltungselement werden, das ihr eigentliches Zuhause eben gerade dieses Bild zu sein scheint. Warum sollte der Grabstein in dem Blatt „Ging heut morgen übers Feld“ nicht gerade in diesem wuchernden Park stehen? Man spaziert durch die reichhaltige Pracht, zieht einige Zweige und Blüten auseinander und steht davor. Oder der strullernde Mann im Blatt „Manneken Pis“ – ein Bildzitat von P. Bruegel d. Ä. – könnte hier genauso selbst geschaute Realität sein.

Damit macht uns Richter aber auch auf etwas anderes aufmerksam – die Zeitlosigkeit großer Kunst, ihre immerwährende Wahrheit. Dürer, Bruegel, Marcks sagen uns nach wie vor womöglich mehr über uns und unsere Welt als manch zeitgenössische Spitzfindigkeit.

„Frühling mit A.D.“

So etwa in dem 1982 entstandenen Blatt „Frühling mit A.D.“, ein Fensterbild als Sinnbild für Hoffnung und Sehnsucht. Draußen vor dem Fenster steht der Dudelsackpfeifer aus einem Kupferstich Dürers von 1514 inmitten einer winterlichen Landschaft, drinnen auf dem Fensterbrett ein welkes Blatt, blühender Ritterstern, treibender Rhabarber und ein Schneckenhaus, alles Sinnbilder in einem großen Gleichnis: Werden und Vergehen, Ausgesetztsein und Geborgenheit und der schöpferische Mensch eingebettet in den Lauf der Geschichte.

Und Richter beherzigt eine andere Erkenntnis seiner Vorgänger. Wichtig ist nicht das technische Raffinement pur. Er bleibt bei der klaren soliden Handhabung der Mittel und der graphischen Technik. Spontanität und technisches Experiment finden keinen Eingang, darin ist seine Kunst klassisch geprägt. Sie setzt eins voraus – die Zeichnung. Richter ist ein akribischer Zeichner. Er zeichnet auf seinen Reisen, Landschaftseindrücke, Architekturen, er zeichnet in Museen, und er zeichnet in den Studentenpraktika an der Ostsee und in der Lausitz, im Braunkohlentagebau bei Hoyerswerda oder im Harz bei Nordhausen.

„Strandläufer“

1976 und 1977 entsteht die Folge „Strandläufer“. In ihr verarbeitet er Erlebnisse seiner Sommeraufenthalte an der Ostseeküste. Neben der Großartigkeit der Natur mit ihren phantastischen Stränden, verschlungenen Wurzeln, abgeschliffenen Buhnen, dem flachen Horizont und der weiten Himmelsfläche steht winzig klein der Mensch. Dazu kommen Stillleben mit Gegenständen der Zivilisation.

Es ist die Sehnsucht nach Weite und Unabhängigkeit. Im fünften Blatt der Folge sehen wir den Künstler selbst, wie er mit dem Skizzenblock hineinschreitet in die scheinbare Unendlichkeit, sein Motiv suchend. Vorne, groß, das Stillleben mit den Utensilien des wandernden Künstlers und über ihm vor dem dunklen Himmel der riesige Wolkenberg einer Cumulus-Wolke – dieser Schönwetterwolke, die sich, wenn sie am frühen Morgen erscheint, im Laufe des Tages zur mächtigen Schauerwolke entwickeln kann – Sinnbild alles für die Schön- und Erhabenheit aber auch Unberechenbarkeit der Natur. Wolken, also die Gestaltung der Himmelsflächen, werden bzw. wird zunehmend seltener in Richters Werk. In den dann meist grauflächigen, monochromen Himmelszonen weicht die Dramatik einer eher melancholischen Stimmung.

„Nach dem Sturm“

Diese Metapher von Natur – Großartigkeit und Unberechenbarkeit – führt Richter in seiner Folge von sechs Blättern „Nach dem Sturm“ (1980-82) zu einem überzeugenden Höhepunkt. Entwurzelte und splitternd abgeknickte Bäume werden Sinnbilder für die Vergänglichkeit allen Lebens. Hintergrund ist die Sturmkatastrophe von 1980, deren Folgen Richter in und um die Harzstadt Nordhausen erlebt hat. In diesen Sturmblättern bezähmt er seine Freude am Detail, kein Bildzitat führt auf andere Wege, keine Geschichten werden erzählt, ja eigentlich verleugnet hier Richter sein künstlerisches Naturell – Graphiken von bestechender Eindringlichkeit entstehen, erschütternd mit ihrer Wahrheit und in ihrer Wahrhaftigkeit.

Die Farbgraphiken dieser Folge und seine anderen Farb-Aquatinten bleiben in ihrer Beschränkung auf wenige diffizil aufeinander abgestimmte Farben Graphik durch die Beschränkung der Mittel, Graphik in bester Tradition. Bäume sind das wohl wichtigste, immer wiederkehrende Motiv des Künstlers, Bäume geschunden als Baum-Ruine und Baum-Torsi als Sinnbild von Tod und ewiger Metamorphose, Bäume, kraftstrotzend im unverwüstlichen Wuchs, Sinnbild des Lebens, der Beständigkeit. Bäume sind bei Richter Geschöpfe mit Physiognomien und Gestik.

„Gleichnis (I-III)“

Neben der Sturm-Folge schuf Richter zwischen 1983 und 1989 eine zweite großformatige Folge von sieben Graphiken mit gleichnishaftem Charakter, auch wenn er nur drei davon direkt als „Gleichnis (I-III)“ bezeichnet. In ihnen entwickelt er ein Gegen- und Miteinander verschiedener Sinnbilder als Metapher für Tod und Leben, Ewigkeit und Vergehen, Kreativität und Destruktion, kommt so zu Weltpanoramen aus einer zutiefst humanistischen Lebensphilosophie. Die Bilder werden zu Meditationen über Fragen der menschlichen Existenz. In diesen Blättern vereinigt er seine Ausdrucksmittel zu seinem künstlerischen Credo, zum Zusammenklang, ähnlich einer großen Symphonie.

Eines dieser Blätter ist dem verehrten Komponisten Gustav Mahler gewidmet: „Ging heut’ morgen übers Feld“. Auch in diese großartige Komposition webt er Bildzitate ein: das Paar und die Waffelbäckerin sind von Bruegel, ein Paar von Schiele, ein Baum von Magritte – alles von Bildern aus Wiener Museen. Eine entsprechende Reise ging voraus. Dazu kommt Mahlers Grabmal und das Stift St. Florian, in dem der Lehrer Mahlers, der Komponist Anton Bruckner, wirkte und begraben liegt. All das ist eingebunden in eine üppig wuchernde Fauna, unterbrochen nur durch die bizarre Gestik eines toten Baumes, darüber schroffe, schneebedeckte Felsen der Alpen, der Erhabenheit des antiken Olymps gleich – Tod und Leben als zusammengehörende Antipoden in den Metaphern toter Baum und üppige Vegetation, Liebespaar und Grabstein. Der Hymnus an die verehrten Vorgänger verbindet sich mit dem Glauben an die Ewigkeit menschlichen humanistischen Schöpfertums durch die Jahrhunderte und dessen Erhabenheit in seiner höchsten Vollendung.

Gleiches findet man in Richters letztem Blatt „Herbstlicht“, das er seiner Frau widmet. In Impressionen aus dem Schlossgarten von Neschwitz ruhen Barlachs „Schlafende Vagabunden“ unter alten halb abgestorbenen Eichen. Auch dieses Bild ist voller Metapher von der Überwindung von Tod und Vergänglichkeit durch menschliches Schöpfertum und menschliche Zuneigung.

Stadtbilder

Neben diesen großen Gleichnis-Landschaften knüpft Richter gelegentlich an seine früheren Stadtbilder an. Die Stadtbilder der 1980er Jahre haben als Motiv häufig das Gebiet um die Berliner Museumsinsel. In unmittelbarer Nähe befand sich seine Wirkungsstätte als Dozent im künstlerischen Lehrbereich. Diese Bilder sind nicht nur weitgehend topographische Bestandsaufnahmen, Richter sinniert in ihnen über das Wechselspiel von Alt und Neu, von Beständigkeit und Zerstörung.

Zwischen den aufwendigen, oft großformatigen Aquatinta-Radierungen entstehen Grafiken in der Kaltnadeltechnik, spontaner, emotionaler und großzügiger – impressionistisch. Richters Grafiken, die großformatigen Blätter und die vielen Miniaturen, sind geprägt von dieser eigenartigen Mischung aus Emotionalität, die sich in der Freude am Detail, an der einzelnen Form berauschen kann und in der Solidität und Rationalität der technischen Mittel, in der präzisen Zeichnung und der nachvollziehbaren Abfolge der Aquatinta-Töne.

Richter war mit seiner Kunstauffassung ein Einzelgänger in der Berliner Kunst oder er hat, wie Heinrich Burghardt sein Lehrer an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Ende 1994 schreibt, mit seiner Kunst „in Berlin eine gänzlich neue Seite aufgeschlagen“, die allerdings keine direkten Nachfolger gefunden hat.

Dieser Text von Volkhard Böhm wurde entnommen aus:
Graphische Kunst, Heft 52, Edition Curt Visel, Memmingen 1999
Aus Gründen der Lesbarkeit im Netz wurde der Text leicht redigiert.

Abbildung: Gerenot Richter: WV II-158 Frühling mit A. D., 1982


Schenkung von Grafiken und Druckplatten


Etwa 100 Grafiken und 20 Druckplatten von Gerenot Richter sollen den Meininger Museen als Schenkung übereignet werden. Die Werke aus dem Richterschen Nachlass passen ausgezeichnet zum Sammlungskonzept der Meiniger Museen freut sich der amtierende Museumsdirektor Winfried Wiegand.

Im Sommer 1997 war unter dem Titel „Meister des Kupferstichs: Gerenot Richter“ eine Ausstellung des 1991 verstorbenen Zeichners und Grafikers in der Elisabethenburg gezeigt worden. Die Meiniger Exposition war auch mit Unterstützung von Ingeborg Richter, der Witwe des Künstlers, zustande gekommen. Damals sei sie von der Arbeitsweise der Museumsleute und der Ausstellung sehr angetan gewesen, sagte Winfried Wiegand. Den von den Meiningern gewünschten Ankauf einiger Kupferstiche konnte sie jedoch seinerzeit nicht ermöglichen, da nur eine geringe Auflage gedruckt worden war. Inzwischen habe sich Ingeborg Richter zu einer Schenkung entschlossen, um das Werk ihres Mannes in „gute Hände“ zu geben.

Die wichtigsten Arbeiten aus dem Schaffen von Richter

Die rund 100 Blatt gehören zu den wichtigsten Arbeiten aus dem Schaffen von Gerenot Richter. Die meisten, darunter auch der Zyklus „Nach dem Sturm“ waren auch in der Meiniger Ausstellung zu sehen. Der Grafikzyklus „dokumentiert die ständige Beschäftigung des Künstlers mit dem geschundenen, abgestorbenen Baum. Die Thematik war in Meiningen durch die Integration echter Äste, die beim Sturm im Schlosspark von den Bäumen heruntergebrochen waren, besonders wirkungsvoll unterstrichen worden.“ (Waltraud Nagel)

„Sehr gefreut haben wir uns über die Druckplatten“, sagte Winfried Wiegand, Bilder und Platten seien eine Bereicherung der Meiniger Sammlungen, auch im Hinblick auf die neugegründete Kulturstiftung. Nachdrucke könne man mit den Druckplatten allerdings nicht herstellen, Gerenot Richter habe sich immer gegen eine kommerzielle Vermarktung seiner Bilder gewandt. Deswegen wurde im Schenkungsvertrag auch eine entsprechende Klausel, die Nachdrucke nur für Museumszwecke erlaubt, verankert.

Zum finanziellen Wert der Schenkung konnte Windfried Wiegand keine Angaben machen, da es, wie er sagte, derzeit „keinen Marktwert“ für die Arbeiten Gerenot Richters gäbe. Der Wert sei daher mehr ideeller Art, aber deswegen kein geringerer. Mit der Übergabe der Schenkung rechnet der amtierende Museumsdirektor Ende Februar bis Anfang März 1998.

Der Beitrag ist eine Zusammenfassung des Presseechos zur Schenkungsvereinbarung des Museums mit der Witwe Ingeborg Richter, u.a. in Freies Wort vom 6.2.1998 sowie im Meininger Tagblatt vom 9.2.1998.

Abbildung: Gerenot Richter, WV II-153 Nach dem Sturm VI, 1982
Farbradierung auf 2 Platten, Mezzotinto, 43,5 x 53,5 cm



Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter (1926 bis 1991)

Ausstellungen in Meiningen | Schloss Elisabethenburg sowie in Greiz | Sommerpalais


Tiefdrucke | Kassetten

Kassette „Alles verfault, was ohne Wurzeln ist“ – Jewgeni Jewtuschenko
II-270 Lichtung
II-271 Grabmal
II-272 Obelisk
II-273 Weidentorsi
II-274 Pflaumenhain
II-276 Dorf
II-277 Weiher
II-278 Feldweg
II-279 Straßenbäume
II-280 Viehweide

Kassette „… und die Erde wird lange feststeh‘n und aufblüh‘n im Lenz“
II-286 Alter Obstgarten
II-287 Waldsaum
II-288 Üppiger Wuchs
II-289 Torsi im Stadtpark
II-291 Villa im Bärenklau
II-292 Bergstraße
II-293 Parkwege
II-294 Parkmauer
II-295 Tümpel
II-296 Schloßpark
II-297 Verlassenes Gehöft
II-300 Bäume am Feldrand

Tiefdrucke | Einzelblätter

II-050 Die Höhle
II-054 Schwerer Anfang
II-055 Stilleben vor Landschaft
II-072 Fossile Braunkohle
II-073 Hochkippe am Tagebausee
II-081 Am Bodden - Gerhard Marcks zum 90. Geburtstag
II-082 Winter in Thüringen
II-084 Pycnodonta vesicularis
II-087 Usadel III
II-089 Amaryllis
II-094 Funde am Hohen Ufer
II-095 Die Wolke
II-097 Erschöpft
II-100 Fragmente I + II
II-105 Das Neugeborene – Hommage zum Jahr des Kindes
II-114 Am Feldrain
II-130 Vaters Uhr – 6 Steine
II-158 Frühling mit A. D.
II-165 Windungen (Fassung A und B)
II-190 Tödliche Stille
II-196 Unter Bäumen I
II-197 Herbststilleben
II-198 Stilleben mit Blüte
II-199 Stilleben mit Tuch – für K. K.
II-200 Harmonie
II-202 Unter Bäumen II
II-207 für M. S.
II-209 Sommer mit M. S.
II-211 Friedliche Kanone I
II-213 D 1500 – Das Meerwunder
II-243 Friedhofspforte
II-245 Manneken Pis (Antwerpen) (nur in Greiz)
II-255 Nach dem Sturm
II-258 Jüdischer Friedhof
II-265 Schloß Weißensee (Thüringen)
II-266 Park Hohenrode
II-268 Lausitzer Dorf
II-269 Jüdischer Friedhof

Tiefdrucke | Folgen

Folge Blüten aus Knollen und Zwiebeln
[als Zusammendruck von 12 Radierungen]
II 251 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Cyclamen
II-250 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Hyacinthus
II-248 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Iris II
II-247 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Tulipa
II-246 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Dahlia
II-235 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Titelblatt
II-234 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Dahlia variabilis
II-233 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Galdiolus
II-232 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Lilium
II-231 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Iris
II-229 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Paeonia
II-228 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Tulipa
II-227 Blüten aus Knollen und Zwiebeln – Anemone

Aus der Folge Rügen '74
II-041 Rügen '74 (terra mater)
II-044 Rügen '74 (Freetz)
II-068 Rügen '74 (Putbus)

Folge Nach dem Sturm
II-131 Nach dem Sturm I
II-132 Nach dem Sturm II
II-140 Nach dem Sturm III
II-141 Nach dem Sturm IV
II-142 Nach dem Sturm V
II-153 Nach dem Sturm VI

Folge Gleichnisse
II-188 Gleichnis I *
II-192 Ging heut' morgen übers Feld (Fassung A + B) – Gustav Mahler
II-210 Der ungetreue Hirt (Fassung A + B)
II-222 Gleichnis II (Die Blinden)
II-263 Gleichnis III (Euchstachius)
II-282 Begegnung (Bremer Iris)
II-304 Herbstlicht (für Ingeborg)

Folge Strandläufer
II-061 Strandläufer I
II-062 Strandläufer II
II-064 Strandläufer IV
II-065 Strandläufer V
II-066 Strandläufer VI
II-138 Strandläufer VII

Folge Burgker Miniaturen *
(auch als Zusammendruck von 5 Platten unter dem Titel „Schloß Burgk“)
II-147 Burgker Miniaturen I (Saalebrücke)
II-148 Burgker Miniaturen II (Weg zum Schloß)
II-149 Burgker Miniaturen III (Schloßbrücke)
II-150 Burgker Miniaturen IV (Wehrgang)
II-151 Burgker Miniaturen V (Zugbrücke)

Folge Schloß Burgk
II-155 Burgk I (Dachboden)
II-156 Burgk II (Turnierwiese)
II-157 Burgk III (Saalebrücke)
II-166 Burgk IV (Wehrgang)
II-167 Burgk V (Schloßweg)

Aus der Folge Berliner Stadtansichten | Berlinansichten
II-214 Die Uhr im Lesesaal
II-223 Berliner Mahnmal
II-242 Drei Grazien
II-240 Spreeathen II
II-244 Artem non odit nisi ignarus
II-261 Die neue Friedrichbrücke

Folge Lausitzer Landschaften
II-252 Heller Morgen
II-253 Füllhorn und leere Scheuer
II-256 Gemäuer
II-262 Sonne im Park

Folge Dürers 450. Todestag
II-075 Der Traum des Podagristen
II-076 Melencolia
II-077 Das Meerwunder
II-078 Das große und das kleine Glück

Folge Verletzte Bäume
[6 Arbeiten im Zusammendruck]
II-115 Gestutzt – Verletzte Bäume I Vogelbaum
II-116 Geborsten – Verletzte Bäume II
II-117 Verbogen – Verletzte Bäume III
II-118 Geköpft – Verletzte Bäume IV
II-119 Abgefressen – Verletzte Bäume V
II-120 Vernarbt – Verletzte Bäume VI

Folge Friedliche Landschaften I - VI
[6 Arbeiten im Zusammendruck]
II-121 Friedliche Landschaft I (Pferde)
II-122 Friedliche Landschaft II (Steg)
II-123 Friedliche Landschaft III Reihe
II-124 Friedliche Landschaft IV (Hasen)
II-125 Friedliche Landschaft V (Haus)
II-126 Friedliche Landschaft VI (Hohlweg)

Druckplatten

Druckplatte Strandläufer IV
Druckplatte Strandläufer V
Druckplatte Fossile Braunkohle
Druckplatte Pycnodonta vesicularis

Handzeichnungen

III-050 Granitbruch II
III-051 Graphische Übungen
III-052 Plastischer Versuch
III-058 Plastische Formen
III-063 Küstenlandschaft
III-067 Entwurzelt
III-068 Hochwald nach dem Sturm
III-069 Straße nach Petersdorf
III-070 Stadtpark / Nordhausen
III-071 Nordhausen / Park Hohenrode
III-072 Straße nach Netzkater
III-073 Baumpyramide
III-074 Nordhausen/Park Hohenrode (Juli 1980)
III-075 Entwurzelte Buche
III-090 Wurzel am Haus
III-091 Bärenklau
III-096 Neptun im Walde
III-107 Pflaumenbäume
III-109 Weidentorsi
III-113 Weiher bei Milkel
III-131 Tümpel bei Knappenrode

ahßerhalb Werkverzeichnis III

NV III Selbstporträt, Kohle

Diese Exponatliste entspricht dem aktuellen Stand der Recherche und befindet sich derzeit noch in Bearbeitung.


Charakter und Biografie von Architekturkomplexen

Einzelne Arbeiten aus der Folge bzw. alle sechs Berlinansichten befinden sich in folgenden Sammlungen:

  • Amerika Gedenkbibliothek (Berlin)
  • Angermuseum Erfurt (Graphische Sammlung)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Archiv)
  • Berlinische Galerie
  • Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst in Frankfurt (Oder)
  • Deutsches Historisches Museum Berlin
  • Deutsche Staatsbibliothek Berlin
  • Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
  • Humboldt-Universität zu Berlin (Kustodie)
  • Kulturhistorisches Museum Magdeburg
  • Kulturstiftung Meiningen-Eisenach
  • Kunstarchiv Beeskow
  • Kunstverein Templin e.V.
  • Museum der Bildenden Künste Leipzig
  • Staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz
  • Staatliches Museum Schwerin – Kupferstichkabinett
  • Stiftung Stadtmuseum Berlin – Graphische Sammlung


Die Berlinansichten im Überblick

Die Folge der Berliner Stadtansichten entstand im Tiefdruckverfahren (Radierung und Aquatinta). Sie bezeugt nicht nur Richters entwickelten Sinn für Bildregie, sondern aus seine richtungsempfindliche Organisation der Motive, bei der langjährige Wirkungseinsichten verarbeitet worden sind. Er weiß um die unterschiedlichen Ausdrucks- und Stimmungswerte der Seiten, und er beherrscht souverän das Arbeiten auf der Platte im Gegensinn.

Museumsinsel bei Nacht

WV II-187 Museumsinsel bei Nacht, 1983,
Radierung und Aquatinta, 32 x 24 cm

Eine von Richters frühen „Berlinansichten ist das Blatt Museumsinsel bei Nacht vom Kupfergraben aus gesehen. lm Vordergrund markiert die sich auf massigem Sockel erhebende Steinsäule mit der sie bekrönenden Lampenkugel den Zugang zur Monbijoubrücke. Jenseits des Spreekanals lagert das neubarocke Bodemuseum, dem sich das neuklassizistische Pergamonmuseum anschließt.

In einigen Museumsräumen brennt noch Licht, das auf das Leben in den Innenräumen weist. Die erleuchteten Fenster, die erstrahlende Lampenkugel und der tief am Himmel stehende Mond sowie vielfältige Reflexe, die sich auf den Wolken und dem Wasser abzeichnen und das Ufer- und Brückengeländer sowie Basis und Kapitell im Vordergrund plastisch heraustreten lassen, leihen der Stadtlandschaft einen belebenden Glanz.“

Spreeathen I

WV II-194 Spreeathen I, 1984,
Radierung und Aquatinta, 16 x 21 cm

Spreeathen I wurde als „Pendant zum ersten Werk der Serie entwickelt. Es zeigt wiederum die Museumsinsel, jetzt aber bei Tage und von der anderen Seite. Der Künstler blickte vom Ufer der Burgstraße, und zwar an der Einmündung zur Neuen Friedrichsbrücke, auf die Nationalgalerie, die Rückseite des Pergamonmuseums sowie auf das hinter der S-Bahnbrücke befindliche Bodemuseum nıit seiner markanten Kuppel.

Rechts im Hintergrund zeichnet sich der Neubau der Charité ab. Auf der Spree transportiert gerade ein Lastkahn Bausand, währenddessen im Vordergrund einige Möwen über das Wasser gleiten und die Helligkeit des hohen Himmels wiederklingen lassen.“

Die Uhr im Lesesaal

WV II-214 Die Uhr im Lesesaal, 1985,
Radierung und Aquatinta, 21,5 x 16,5 cm

Das Blatt Die Uhr im Lesesaal zeigt „das kriegszerstörte Herzstück der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek (und jetzigen Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Unter den Linden). Der Künstler richtete seinen Blick auf die Reste des von Ernst von Ihne entworfenen oktogonalen Kuppelsaals. Bildbestimmend ist die Uhr, die einst den Wissensdurstigen über sinnvoll genutzte Zeit Auskunft gegeben hat und jetzt nur noch an den grauenvollen Krieg erinnert.

Das Rund des Zifferblattes wird von Ornament- und Mauerstreifen aufgenommen und hallt in einigen Bogenstellungen nach. Ein dunkler Himmel lastet auf der Ruine. Im Vordergrund deuten allerdings Bretterbuden, Betonmischer, Bauholz und Sandberge die begonnene Wiederherstellung des Gebäudes an.“

Berliner Mahnmal

WV II-223 Berliner Mahnmal (Synagoge), 1985,
Radierung und Aquatinta, 16,5 x 22 cm

Im Blatt Berliner Mahnmal „hat Richter die Ruine der Neuen Synagoge wiedergegeben. Die von Edmund Knoblauch und Friedrich August Stüler nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts erbaute Hauptsynagoge der Berliner jüdischen Gemeinde, eine herausragende Leistung deutscher historistischer Architektur, wurde in der Reichskristallnacht vom 9. zum 10. November 1938 zerstört. So sind die hier gezeigten übriggebliebenen Mauern eine steinerne Anklage der Barbarei des Faschismus.

Der Künstler wählte bedacht einen sich neigenden eisigen Wintertag, um die Ruine der Vorsynagoge zu zeigen. Schneereste lassen die Formen hart aus dem Dunkel treten. Das Weiß dringt schrill in den Bildraum und beunruhigt zutiefst. Dächer niedriger Schuppen bilden für das aufgerissene Bauwerk einen breiten Sockel und zugleich auch eine distanzgebietende Zone für den Betrachter. Dort reckt sich wie auch auf der Ruine kahles Geäst empor.“

Drei Grazien (Friedrichstadtpalast)

WV II-242 Drei Grazien, Friedrichstadtpalast, 1986,
Radierung und Aquatinta, 17 x 22 cm

Auf dem Blatt Drei Grazien führte Richter „ein im Abriss befindliches Gebäude vor Augen, nämlich den alten Friedrichstadtpalast, der einst für die Theater- und Varietégeschichte eine große Rolle gespielt hatte. Aus bautechnischen Gründen wurde das Bauwerk abgetragen. Erinnert die Eisenkonstruktion im Bild an die in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts von dem Schinkelschüler Friedrich Hitzig erbaute Markthalle, so weisen die sonderbaren Kapitelle – die drei Grazien – auf die fantasievolle Umgestaltung des Gebäudes zum Großen Schauspielhaus, die Hans Poelzig, einer der bedeutendsten Architekten des Expressionismus, vornahm.

Richter hielt, in der Ruine stehend, einen Durchblick zum Theatergebäude des Berliner Ensembles fest, dessen Turm sich vor dem lichten Himmel abzeichnet. Am linken Bildrand breitet hinter einer Eisenstütze ein Baum seine Krone aus. Organisches wird somit gegen Anorganisches und intakte Architektur gegen defekte gestellt. Die flackernde Unruhe in der Ruine, durch nuancenreiches Helldunkel und vielfältige Strukturen betont, wird durch die strengen Parallelläufe der Eisenkonstruktion und des Mauerwerks in eine Ordnung gebannt.“

Neues Museum

WV II-244 Artem non odit nisi ignarus
(Neues Museum), 1986,
Radierung und Aquatinta, 16,5 x 21 cm

Dieses Blatt der Folge Berlinansichten zeigt das Neue Museum vom Kupfergraben aus. Richter nannte es Artem non odit nisi ignarus und griff damit „die Inschrift unterhalb des Giebeldreiecks auf. Das von dem Schinkelschüler Friedrich August Stüler in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts erbaute spätklassizistische dreigeschossige Gebäude brannte 1945 aus. Die löchrige Fassade, die einen Durchblick gestattet, wirkt unheimlich.

Merkwürdigerweise ist das Giebelrelief mit den Personifikationen der Kunst und des Kunstgewerbes, eine Arbeit des Rauchschülers August Kiss, weitgehend erhalten geblieben. Die kahlen Bäume mit verschiedenartigen Kronen behindern nur wenig die Sicht, aber sie bilden zu den strengen Linien der Architektur einen belebenden Kontrast. Der Bauzaun sowie Ufergeländer und Bürgersteig gehen gleichfalls von dem Gefüge rechter Winkel ab, setzen jedoch den Rhythmus des Helldunkels fort.“

Die Neue Friedrichsbrücke

WV II-261 Die neue Friedrichsbrücke II
(Berliner Dom), 1987,
Radierung und Aquatinta, 22 x 25 cm

Die Neue Friedrichsbrücke gestaltete Richter von der Burgstraße aus. Er lenkte dabei den Blick in entgegengesetzter Richtung über die Spree, den mächtigen, von Julius Raschdorff um die Jahrhundertwende gebauten Dom fest ins Auge fassend. Die Kriegsschäden an dem gewaltigen historistischen Bauwerk waren außen schon in den Jahren von 1975 bis 1981 beseitigt worden.

Rechts des Doms ist das von Karl Friedrich Schinkel errichtete Alte Museum zu erkennen, das gleichfalls im Krieg großen Schaden erlitten hatte und dessen Wiedererrichtung ein gutes Beispiel für den pfleglichen Umgang mit dem Kulturerbe bildete. Zu diesen historischen Bauten gesellen sich auf der Darstellung Richters noch zwei Neubauten des Stadtzentrums: der Palast der Republik (inzwischen abgerissen und Standort des Humboldt-Forums) und das Palasthotel (jetzt Hotel Radisson). Die Neue Friedrichsbrücke wirkt wie eine Klammer, die alte und neue Architektur zusammenfasst.“

Der gesamte Text wurde veröffentlicht in:
> Lammel, Gisold: Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter, Hrsg. von G. Brandler, Edition Schwarz Weiß, Spröda 1997
> Lammel, Gisold: Gerenot Richter, Katalog der Deutschen Bücherstube, Berlin 1987


Kunstdialoge

Für Gerenot Richters Gestaltungskonzeption und Auffassung ist nicht nur die Auseinandersetzung mit der Realität, sondern auch das Studium älterer und zeitgenössischer Kunst belangvoll gewesen. Dass er die Kunstdialoge über anderthalb Jahrzehnte so eingehend und folgenreich geführt hat, mag zum Teil dem schnellen Fluss jener Zeit geschuldet gewesen sein sowie den vielen Angriffen auf die gegenständliche Kunst in unserem Jahrhundert. Eine große Ehrfurcht vor künstlerischen Leistungen verband sich bei ihm mit der Suche nach festen Werten und dem Bestreben, vorhandene Kunsterfahrungen zu begreifen, zu bewahren und weiterzutragen.

Mit den Bezügen auf Kunstwerke voraufgegangener Jahrhunderte hat er Zeitenlauf und eine geschichtliche Dimension angedeutet und dabei dem kunsthistorisch Bewanderten Impulse vermittelt. Bei seinen Kunstdialogen folgte er keinem Schema, sondern er zeigte sich beweglich und geistreich. Zumeist sind seine Zitate verborgen, oft auch nur Randerscheinung. In der Regel sind seine kunstgeschichtlichen „Erinnerungen“ jedoch alles andere als bloße Zutat, sondern vielmehr Wirkstoffe, die das Vordringen in tiefere Bedeutungsschichten befördern und steuern und Denkrichtungen angeben. Seine Kompositionen leben nicht vom Entlehnten, sondern von den geistigen und formalen Spannungen und Verstrebungen, die mit ihm erzeugt worden sind. So hat er den Dialog mit der Kunst und der Realität zu neuer Kunstrealität geführt, in der sich die Sphären mischen.

Zitate, Variationen und Transformationen

Richters Kunstrezeptionen, d. h. Zitate, Variationen und Transformationen von Motiven namhafter Künstler, sind seinen ganz persönlichen Kunstbegegnungen und Vorlieben erwachsen. Am häufigsten, intensivsten und umfassendsten setzte er sich mit der Bildwelt und Gestaltungsweise Albrecht Dürers auseinander.

In besonderer Weise schlug sich eine große Ehrfurcht vor diesem Künstler in den vier Blättern „Zu Dürers 450. Todestag“ (1977) nieder sowie auf den Darstellungen „Frühling mit A.D.“ (1982), „D 1500 – Das Meerwunder“ (1985) und „Gleichnis III (Eustachius)“ (1987).

Die querformatigen Kompositionen erstgenannter Folge umfassen ein Stillleben und drei Küstenlandschaften mit Zitaten aus Tiefdrucken des großen Nürnbergers. Mal sind es Bildfiguren oder Gewanddraperien, die aufgenommen worden sind, mal ist auch ein winziges Schiff oder ein fantastisches Tier aus der fernen Bildwelt herübergeholt worden. Mal sind es vorwiegend inhaltliche, mal mehr formale Interessen, die zur Übernahme verleitet haben. Auf dem Blatt „Der Traum“ ist am rechten Bildrand ein Stück von Dürers um 1497 / 1498 geschaffenem „Traum (Versuchung)“ zu sehen, und zwar ein Fuß des Träumers und der auf Stelzen gehende Putto. Bekenntnishaft gab Richter daneben sein Selbstbildnis wieder, nämlich als Spiegelung auf einer großen Glaskugel. Mit Lupe und Radiernadel erscheint er dort, den Betrachter fixierend. Links im Hintergrund deutete er eine eigene Radierung an, die eine alte Weide wiedergibt. Auch hinsichtlich der Erfassung von Stofflichkeit ist Richters „Traum“ ein Meisterstück.

Auf einem anderen Blatt der Folge, „Melencolia“ genannt, bildet das faltige Gewand der Melancholie aus Dürers 1514 entstandenem Meisterstich eine Steilküste, deren Furchungen und Verwerfungen mit dem im Vordergrund barrierenartig lagernden Treibholz korrespondieren. Der Schoß von Dürers Bildfigur lässt hier an die Mutter Erde denken, andererseits auch an Landschafts- und Objektverhüllungen Christos, so an dessen Verpackung eines zwei Kilometer langen Küstenstreifens bei Sidney. Hoch am dunklen Himmel fliegt jenes fledermausähnliche Tier aus demselben Stich Dürers.

Auf einem weiteren Blatt der Folge, Richter hat es „Das große und das kleine Glück“ bezeichnet, ist hingegen nur ein im Winde wehendes Tuch, das um einen in der Erde der Steilküste steckenden Stock gewunden ist, Dürer verpflichtet, nämlich den reich drapierten Tüchern auf den Kupferstichen „Nemesis oder das Große Glück“ (um 1501/1502) und „Fortuna oder das Kleine Glück“ (um 1496).

Richter setzte das Zitierte in Beziehung zu einem am Strand liegenden Liebespaar, einem anderen kleinen oder großen Glück. Das vierte Blatt der Folge, es trägt den Titel „Meerwunder“, enthält im Mittelgrund drei Badende und eine am Ufer Lagernde sowie ein Segelschiff in der Ferne als Zitate aus Dürers „Meerwunder“ (um 1498). Der Bildbetrachter blickt auf die schönen Frauen und vergisst das faszinierende Motiv mit der am knorrigen Stamm hängenden Kamera aufzunehmen. Hier zitierte Richter mit ironischem Augenzwinkern.

Eine Kunstbegegnung in doppelter Weise

Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch etwas zu der fünf Jahre nach der Folge angefertigten Kaltnadelradierung „Frühling mit A.D.“ gesagt. Hier tritt nun der Betrachter vor das Fenster und begegnet dem Blick eines Dudelsackpfeifers, der da am kahlen Baum lehnt und volkstümliche Weisen spielt. Er entstammt dem frühen 16. Jahrhundert, genauer gesagt, einem Stich Dürers aus dem Jahre 1514. Es handelt sich gewissermaßen um eine Kunstbegegnung in doppelter Weise: mit einem Musizierenden und zugleich mit einer Kunstfigur.

Die zunächst sonderbar anmutende Gestalt bringt sozusagen ein Ständchen, grüßt aus der Vergangenheit herüber. Oder weist sie auf den Abgesang alles Überlebten, oder verabschiedet sie nur den Winter? Oder kündet sie „Neues“ im alten Gewande an? Auf sonnigem Fensterbrett stehen blühender Ritterstern und treibender Rhabarber, daneben windet sich ein dürres Blatt aus dem verwichenen Jahr, Zeitlichkeit und Vergänglichkeit andeutend. Daneben liegt ein Schneckenhaus als Sinnbild der Geborgenheit. Das Stillleben beschreibt im Vordergrund eine Wellenlinie, die nach Auffassung des englischen Malers und Grafikers William Hogarth die Linie der Schönheit ist.

Natürlich steht dieser Fensterausblick in einer langen künstlerischen Tradition. Im 19. Jahrhundert kamen sogenannte Fensterbilder häufig vor. Und damals wie heute wird mit dem in ihnen gestalteten Verhältnis von Innenraum und Außenwelt auch das von Individuum und gesellschaftlicher wie natürlicher Umwelt reflektiert. Häufig wurden gerade mit dem Motiv des geöffneten Fensters Hoffnungen und Sehnsüchte angedeutet. Auch diese Radierung lässt sie anklingen und darüber hinaus Freude über einsetzende Erneuerung, die der beginnende Frühling verheißt. Richter machte hier das Dürerzitat zum Angelpunkt der Komposition. Schon nach flüchtigem Blick wird die entliehene Bildfigur be- und hinterfragt. Sie bewirkt die seltsame Begegnung und lässt an ein historisches Genrebild denken.

Schongauer, Altdorfer, Pieter Bruegel d. Ä.

Außer Dürer zogen Richter auch noch andere namhafte Künstler jener Zeit in ihren Bann, so Martin Schongauer und Albrecht Altdorfer. Einen stillebenartigen Naturausschnitt nannte er „Für M. S.“. Dort erscheint ganz unauffällig links unten im Bild eine winzige Fantasiegestalt, die sich an das lanzettförmige Blatt der Blumenstaude klammert. Sie ist, leicht abgewandelt, Schongauers Kupferstich „Heiliger Antonius, von Dämonen gepeinigt“ (1473) entlehnt.

Anlässlich von Altdorfers 450. Todestag radierte Richter die kleine Kupferplatte „Verneigung“ (1988). Der Titel deutet nicht nur die Ehrerbietung an, sondern bezieht sich vor allem auf das Hauptmotiv der dargestellten Landschaft, auf den sich neigenden alten Baum, unter den ein Altdorferscher Putto den Schild mit dem Signet des Geehrten hält. Kurz nach Fertigstellung hat Richter geklagt: „A. A. war eine Quälerei, da ich eine Mischung aus Kopie und freier Nachgestaltung versuchte.“

Neben Dürer hat ihn der Malerphilosoph Pieter Bruegel d. Ä. am meisten fasziniert. Vor allem dessen Auffassung von der Landschaft als Gleichnis vom beständigen Werden und Vergehen erregte sein Interesse, aber auch die einprägsamen und plastisch-prägnant geformten Bildfiguren und das Schalten und Walten mit Verfremdungen und Raumbildungen hatten es ihm angetan.

Entnahm Richter für seine großformatige Komposition „Ging heut' morgen übers Feld (Gustav Mahler 1884)“ Bildfiguren aus den jetzt in Wien befindlichen Gemälden „Der Kampf zwischen Karneval und Fasten“ und „Bauernhochzeit", so zitierte er auf der Radierung „Manneken Pis“ (1986) einen das Wasser Abschlagenden aus den „Zwölf Sprichwörtern“ (zwölf Rundbilder auf einer Holztafel, um 1560, Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh). Aber während auf der Darstellung des Niederländers die Figur den Strahl auf die Sichel des zunehmenden Mondes richtet und auf diese Weise ein altes Sprichwort verbildlicht, das die Pechsträhne eines Mannes beklagt, zeigt das Bild Richters diese Gestalt im Mittelgrund einer Landschaft mit knorrigen Baumriesen, mit leiser Ironie Kreisläufe allen Lebens andeutend.


Der Text wurde entnommen aus:
Lammel, Gisold., Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter
Hrsg. von G. Brandler, Edition Schwarz Weiß, Spröda 1997


Zur künstlerischen Entwicklung, Auffassung und Gestaltungsweise

Seine Lehrer Reinhold Langer, Hermann Bruse, Heinrich Burkhardt und Fritz Dähn, um nur die wichtigsten zu nennen, haben seine Bildsprache kaum beeinflusst. Das meiste verdankte Gerenot Richter dem Studium von Natur und älterer Kunst. Daneben verarbeitete er Anregungen aus Wissenschaft und den Künsten. Da er auch Geografie studiert hatte, behielt er einen wachen Blick für das Gebautsein eines Landschaftsraums und die Beschaffenheit von Gestein.

Nicht unerwähnt darf hier seine enge Verbindung zur Musik bleiben. Er spielte Geige und gelangte mitunter zu Bildstrukturen, die auch an Tondichtungen erinnerten. Gelegentlich gab er Musizierende wieder und ehrte Komponisten wie Beethoven und Mahler in Bildern. Besonders gern hörte er Werke von Wagner (vor allem den „Ring“), Mahler und Bach.

Seine Bildauffassung wandelte sich im Laufe der Jahre. Um 1970 entstanden vornehmlich statische, mittelgrundbetonte, erzählerische und romantisierende Landschaften, um 1974 / 1975 vor allem dynamische Kompositionen, die deutlich Prozesshaftes reflektierten und in denen lange parallele Strichbahnen Bewegung suggerierten.

In der Folgezeit, der Zeit der Reife, herrschten dann die stillen, detailreichen, vordergrundbetonten Bildräume vor, in denen Stofflichkeit und Formenvariation in bis dahin nicht gekannter Reichhaltigkeit erschienen und sich seine Neigung zum Horror vacui entfaltete. Zudem regte sich in steigendem Maße das Interesse für spannungsvolle Kompositionen und weitergehende Differenzierung der Wertigkeit unterschiedlicher Bildelemente. Am Ende seines Schaffens versuchte er, die Formenfülle zu reduzieren und mehr Leerflächen in die Bildrechnung einzubeziehen.

Mitte der 1970er Jahre hatte Gerenot Richter seine Kunstkonzeption ausgebildet. Alles, was er vordem geschaffen hatte, war, an Späterem gemessen, nur Erkundung von Gestaltungsmöglichkeiten und Suchen einer ihm gemäßen Ausdrucksweise. Er erreichte dieses Ziel in einem Prozess großer produktiver Anspannung und durch die schon erwähnte Beschränkung auf den Tiefdruck.

Die Folgen „Strandläufer“ (1976 / 1977 und 1981), „Zum 450. Todestag Dürers“ (1977) und Einzelblätter wie „Fossile Braunkohle“ (1977) und „Am Bodden bei Niehagen“ (1978) standen am Beginn seiner reifen Zeit. Die Folgen „Nach dem Sturm“ (1980 / 1982) und die „Großen Gleichnisse“ (seit 1983) markierten dann die Gipfellinie seines Schaffens.

Vorliebe für Bildreihen

Richters Vorliebe für Bilderreihen ist unübersehbar. Allerdings verzahnte er die einzelnen Darstellungen nicht so miteinander, dass die Herausnahme oder Hinzufügung eines Bildes undenkbar gewesen wäre. Die Verstrebungen der Kompositionen zum komplexen Werk waren also zumeist recht locker. Mithin ging es ihm mehr um Bilderfolgen als um Bilderzyklen, denn letzteren liegt eine konzentrierte Regie und Dramaturgie zugrunde, die eine schlüssige und abgerundete Einheit bewirkt. Dennoch hat es natürlich in Richters Bilderfolgen immer auch übergreifende Gesichtspunkte gegeben.

Seine Arbeiten offenbaren ein reges Wechselverhältnis von Bewußtem und Unbewußtem. Zwar begegnen wir durchdachten, aber keineswegs ausgeklügelten und bis ins letzte ausgetüftelten Bildlösungen. Seine Fabulierkunst hat sich nicht ins Joch spannen lassen. Deshalb übertrug er niemals unverändert eine Zeichnung auf die Druckplatte.

Folgte seine Bildgestaltung auch keinem festen Plan, so zeigte sie doch Vorlieben, so beispielsweise die für Nahsichtlandschaften mit stillebenhaft ausgeformtem Vordergrund, der sich barrierenartig über die gesamte Bildbreite entwickelt und den Bildraum schwer zugänglich macht. Des öfteren begegnen wir auch einer dualistischen Raumstruktur, die mit einer auffälligen Mittelgrundschwächung verbunden ist. Seine Bildräume folgen keiner Zentralperspektive. Bildtiefe erzielte er durch Überschneidung, Überdeckung und Staffelung von Formen.

Hang zu irritierender Kombinatorik

Seine Bildschöpfungen weisen mitunter eine irritierende Kombinatorik auf. Dabei hat er immer vermocht, scheinbar Disparates zu höherer geistiger Bedeutsamkeit und stimmungshaftem Bildganzen zu bringen. Freilich ist es manchmal gar nicht so leicht, im kunstvollen Dickicht der Formen den Schlüssel zum Bild ausfindig zu machen. Menschen erscheinen in seinen Bildräumen zumeist recht klein und als Teil eines großen Ganzen. Sie drängen nicht aus dem Bild, sie sind unterwegs oder verharren und deuten Beziehungen zur Umwelt an.

Die Tendenz zur feinen Durchbildung des einzelnen ist bei seinen Grafiken ebenso auffällig wie die Zusammendrängung vieler Einzelheiten. Die dichte Versammlung der Formen nimmt oft das gesamte Bildfeld in Anspruch und offenbart dabei einen feinen Sinn für ornamentale Wirkungen. Seine Kompositionen durchströmt ein eigener Rhythmus, der dem Einordnen aller Teile unter eine Gesamtwirkung dienlich ist.

Die Rhythmisierung von Strichen und Liniengefügen verdichtet, vertieft, schafft Umrißverwandtes, stellt Formenbezüge her und erfasst die vielgestaltigen Strukturen seiner gegenständlichen Welt. Besagte Strukturen geben nicht nur Auskunft über Formenverlauf, Oberflächenbeschaffenheit und Aufbau des Materials, sondern helfen mit, bestimmte Stimmungswerte zu erzeugen. Oft schwelgte Richter förmlich in verkräuselten und sich windenden Linien, komplizierten Strichgefügen und subtilen Abstufungen von Tonwerten.

Vom Kupferstich beeinflusste Radiertechnik

Gerenot Richter hat sich eine vom Kupferstich der deutschen Renaissance beeinflusste Radiertechnik zu eigen gemacht. Seine Bilder webte er nicht mit einem einheitlichen Raster von Strichen oder Punkten, sondern er benutzte vielfältigere grafische Elemente. Dadurch hat er den verweilenden Augen reichliche Nahrung geboten.

Die Auseinandersetzung mit der Kunst der „Dürerzeit“ führte ihn zur Erweiterung und Perfektionierung eigener grafischer Mittel. Auf diesem Wege gelangte er zur Charakterisierung von Materialität und zur abstrakten Füllung der Felder zwischen den Gegenständen, zu Möglichkeiten der Schaffung von formklärenden Tonwerten sowie der rhythmischen Einbindung der Details ins Bildganze. Meist ging er bei der Gestaltung von Strukturen mit Konturlinien mit und deutete so Ausdehnung, Wachstum und Bewegung an. Gelegentlich ließ er aber auch Strichgefüge sich gegen diese Konturlinien stemmen, somit eine zusätzliche Spannung bewirkend.

Sehr oft bezog Gerenot Richter die Aquatinta in die Gestaltung ein, um einerseits durch Zurücknahme von Detailhärten eine stärkere Vereinheitlichung der Teile zu erwirken, andererseits, um atmosphärische Wirkungen und Stimmungswerte einzubringen. Weder Effekthascherei noch leichtfertiger Verzicht auf Formenklärung bestimmten dabei sein Tun. Auch wenn er von vornherein die Aquatintatönung in seine erwünschte Bildwirkung einbezog, erfasste er zunächst alle Elemente fest und klar, wissend, dass viele der Linien und Strukturen dann verdämmern oder sogar völlig verschwinden.


Dieser Text wurde entnommen aus: Lammel, G., Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter
Hrsg. von G. Brandler, Edition Schwarz Weiß, Spröda 1997


in: Lammel, Gisold, Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter
Hrsg. von G. Brandler, Edition Schwarz Weiß, Spröda 1997

Prolog

Die Bilderwelt, die er uns hinterlassen hat, enthält vieles: beglückende Blumenstücke, zerfahrene Wege, die in begrenzte Tiefe führen und immer wieder Bäume, lebenstrotzende, versehrte und verendete. Architektur finden wir in ihr, Lobgesänge auf kunstsinnige Baumeister voraufgegangener Zeiten, ruinöses Bauwerk auch als Zeichen der Zeitlichkeit wie des menschlichen Irrsinns. Aus seinen Bildern spricht der besorgte Ethiker, den eine tiefe Liebe zu Natur, Mensch und Kunst erfüllt hat. Sie reflektieren Gedanken über Werden und Vergehen, Endliches und Zeitloses, über die Gefährdung der Natur, der Menschen und ihrer Werke, über die Verantwortung des Einzelnen und der Gesellschaft, über Lebenswillen, Selbstbehauptung und Schöpfertum. Ein grüblerisches Naturell hat sich da offenbart und auf humanistischem Bildungsgrund Bildgedanken aufgetürmt.

Richters Elegien über Verlorenes und Vergehendes verbinden sich zumeist mit Oden an das Leben und die Lebenswerte. Weder ein Elysium noch ein Inferno, wohl aber angetastete und auch von Katastrophen heimgesuchte Lebensräume führte er vor Augen. In seinen Bildern stellte er Vorgänge und Zeichen der Natur in Bezug auf soziale Prozesse und einige grundsätzliche Verhaltensstrukturen dar. Seine Gedanken und Fragen sind ganz in die Bildlichkeit eingegangen. Er hat keine literarisch orientierte Bildlichkeit besessen, wohl aber eine poetische; und seine Leistung als Bilddichter ist zu würdigen.

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Neue Austellungsreihe startet mit Gerenot Richter


Unter dem Titel Meister des Kupferstichs begann in der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz eine neue Ausstellungs- und Publikationsreihe.

Parallel zur Ausstellung erschien das Buch „Gerenot Richter – Meister des Kupferstichs“. Mit diesem Blogbeitrag verweisen wir auf die sehr erfolgreiche Ausstellung 1997 in Greiz und zitieren an dieser Stelle aus dem Vorwort von Gotthard Brandler, dem Direktor der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz.

Der Terminus Kupferstich

Der Terminus Kupferstich wird von uns hier in der kunsthistorisch eingeführten Weise als ein Oberbegriff für die unterschiedlichen Techniken des Tiefdrucks verstanden. Ausgewählt werden Künstler, die in einem engeren oder weiteren Sinnen die großen und reichen Traditionen des Kupferstichs in Deutschland und andernorts bis in die Gegenwart fruchtbringend fortgeführt haben.

Nicht zufällig wird zum Auftakt der neuen Reihe des Werk des Berliner Künstlers Gerenot Richter (1926-1991) vorgestellt. Denn seine Arbeiten bieten wahrhaft Meisterliches auf dem Gebiet des Kupferstichs. Auch erhellen sie geradezu paradigmatisch und auf faszinierende Weise die fruchtbar gewordenen Beziehungen zu den Altmeistern.

Das bedeutet nicht, dass sich Gerenot Richter historisierend oder als Kopist verhalten hätte. Vielmehr ist der Reichtum der in Jahrhunderten geschaffenen Formen und Liniensprache der Stecherkunst in einem sehr gegenwärtigen Werk aufgehoben.

Auch reicht es nicht, bei Richter allein von einer Perfektion des Handwerks zu sprechen. Perfektion allein mündet allzuschnell in eine sterile Künstlichlichkeit und Manieriertheit, die im wahrsten Sinne oberflächlich bleibt.

Nein, Richter erweist sich nicht nur als ein perfekter Stecher, sondern als ein Meister. Ihm gelingt es, das Sinnlich-Wahrnehmbare durch das Ich des schaffenden Menschen so zu verwandeln, dass das Kunstwerk in seiner sinnlichen Wahrnehmbarkeit zugleich Zeugnis von etwas Geistigem ablegt. Die äußere Erfahrungswelt wird auch innerlich seelisch durchdrungen. Voraussetzung dafür ist ein Empfinden gegenüber den in der Natur verborgenen Geheimnissen.

Gleichnishafte Welten- und Seelenlandschaften

Der Richtersche Mikrokosmos weitet sich zum Makrokosmos, zur gleichnishaften Welten- und Seelenlandschaft. Und der Künstler in seinem Gehäuse erschließt sich über den genauen und wissenden Blick auf das Gegenständliche, Naheliegende die Welt und eine Ahnung von der Schicksalhaftigkeit menschlicher Existenz.

Beispielhaft steht dafür das Blatt "Der Traum des Podagristen – Dürers 450. Todestag" vpm 1977. Dargestellt ist ein recht eng gefasster Ausschnitt aus der Arbeitsstätte des Künstlers. Rechts im Bild noch ein Teil des bekannten Dürer-Blattes "Der Traum – Die Versuchung" (um 1497 / 1498) zu erkennen, links eine eigene Arbeit. Nicht von ungefähr gerät hier gerade das Details des Kupferstichs von Dürer ins Bild, das einen auf Stelzen gehenden Putto neben einer Kugel darstellt.

Der Künstler selbst in seinem Atelier, mit aufgesetzter Lupe und mit der Radiernadel in der Hand, erscheint als Spiegelung auf einer Glaskugel. Doch ist dies ja nicht die bloße Darstellung eines Widerscheins. Er erinnert an die philosphischen und künstlerischen Erkenntnisse eines Jakob Böhme oder eines Albert Dürer. Die Kugel als ein Symbol des Kosmos, der Ganzheit, der Vollkommenheit, aber auch der Seele. Im Bild des Runden und der Kugel kommen Kosmos und Mensch, sinnlicher und ethischer Wert in einem Idealzustand zur Vollendung. Die Weltkugel ist aber zugleich auch ein Zeichen der unsteten Göttin des Glücks in Wechselbeziehung zu den Mächten Zeit, Vergänglichkeit und Tod.


Gerenot Richter besaß in seiner Persönlichkeit und in seiner Kunst eine ethisch-moralische Eigenschaft, die man nur mit dem in der heutigen Gesellschaft außer Gebrauch geratenen Begriff der Demut bezeichnen könnte. Nicht im Sinne von Ergebenheit, sondern im Sinne einer Achtung vor der Natur, der Schöpfung und des Schöpferischen im Menschen selbst.


Nicht im Sinne von Ergebenheit, sondern im Sinne einer Achtung vor der Natur, der Schöpfung und des Schöpferischen im Menschen selbst. Und so beinhalten zahlreiche seiner Arbeiten nicht zufällig einen Dank an seine großen Vorgänger.

Persönliche Begegnung

Im Jahre 1987 durfte ich Professor Gerenot Richter im Zusammenhang mit einer Ausstellung noch persönlich kennenlernen. Vermittelt hatte diese Begegnung Dr. Gisold Lammel, der beste Kenner des Richterschen Werkes. Schon damals hat mich die Bescheidenheit, aber auch der Kenntnis- und Empfindungsreichtum des Künstlers sehr beeindruckt.

Allerdings bedurfte es noch einiger Zeit, um die künstlerische und ästhetische-philosophische Dimension des Werkes von Gerenot Richter tatsächlich zu erfassen. Um so dankbarer bin ich, dass mich nun zehn Jahre später Gisold Lammel – mit Unterstützung von Frau Ingeborg Richter – dazu ermutigt hat, die schon länger geplante Reihe "Meister des Kupferstichs" beginnend mit Gerenot Richter, in Greiz ins Leben zu rufen. So kann dieses Vorwort auch nur eine Dankeswort sein für das Werk, das der Künstler uns hinterlassen hat.


Text: Gotthard Brandler, Direktor der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz

Der Artikel wurde entnommen aus: Lammel, G., Meister des Kupferstichs – Gerenot Richter
Hrsg. von G. Brandler, Edition Schwarz Weiß, Spröda 1997

Den Text von Gisold Lammel aus diesem Katalog können Sie hier nachlesen.


Gerenot Richter als „Meister des Kupferstichs“ im Greizer Sommerpalais

Zur Frühjahrszeit sollten wir kleine Entdeckungsreisen nach nebenan machen, um uns in sanfte und dennoch kraftvoll beredte Kunstdinge zu vertiefen, ja, versenken.

Warum nicht das Radierwerk des Gerenot Richter (1926–1991) in vollem Umfang entdecken? Zum Glück hat seine Witwe Ingeborg Richter den kompletten grafischen Nachlass zum Ausstellen freigegeben. Und zum doppelten Glück war eine vorzüglich edierte Katalog-Monografie pünktlich zur Eröffnung im Sommerpalais Greiz Ende März präsent. Der Berliner Kunsthistoriker Dr. Gisold Lammel interpretiert darin gründlich und kenntnisreich „Gerenot Richters gleichnishafte Bilddichtungen“. Und die etwa 60 Abbildungen ermöglichen detaillierte Einblicke in Richters Bildwelt.

Greiz ist für diese „Meister des Kupferstichs“ betitelte Ausstellungsreihe durch die hier beheimatete „Bücher- und Kupferstichsammlung“ ein idealer Ort. Zur Eröffnung umriss Dr. Lammel Wesentliches am Phänomen Gerenot Richter: Als immer schon Lehrender reifte er als ständig Lernender an den Renaissancemeistern mit Dürer an der Spitze.

Grüblerischen Naturells, zeichnete der besorgte Ethiker sein Mitempfinden mit der geschundenen Natur. Sinnlich Wahrnehmbares ins Geistige, ja, in philosophische Bereiche zu transponieren, war sein Ziel. Die in ihren überfeinerten Tonwerten auf den ersten Blick konventionelle Formsprache enthüllt auf den zweiten Blick ein Wachstumsadern und Bewegungslinien nachspürendes filigranes Geflecht.

Affinität zu wachsendem und vergehendem Holz

Beim Rundgang durch den noch winterlich kühlen Gartensaal wurde mir schnell warm ums Herz. Eigene Naturerlebnisse und Kunsterfahrungen wurden schnell lebendig. Die mir ungeheuer vertraute Affinität zu wachsendem und vergehendem Holz bewegte mich mindestens ebenso sehr wie die vergleichende Kunstbetrachtung zu künstlerischen Zeitgenossen und Weggefährten.

Ist der magisch verklärte, aber handwerklich grundsolide Realitätssinn dieser Kunst mit einer Vokabel wie „modern“ überhaupt erfassbar? Prallt das ideologische Verdikt für „Realismus“ daran nicht ebenso ab wie der Vergleich mit dem gefälligen Marktgängigen? Wobei zu letzterem kurioserweise das oberflächliche Gerenot-Richter-Epigonentum eines Walter Herzog ebenso gehört wie die mit Millionenbeträgen aufgewogene Kunstproduktion eines Gerhard Richter. Der eine Richter ging aus Dresden in die weite Welt, den Kunstmarkt zu beherrschen, der andere kam von Dresden nur bis Berlin, der Ausbildung von Kunsterziehern zu dienen.

Sei es drum. Schön zu sehen, wie diese feinsinnigen Nachspürungen an Holz- und Steinformen und Wasserströmen weiterhin ein hoffentlich nicht nur sächsisch-thüringisches und berlinisches Publikum finden. Und einen aufgeschlossenen Museumshausherrn in Greiz wie Gotthard Brandler sowie einen tüchtigen Verlegerfotografen wie J. M. Pietsch mit seiner „Edition Schwarz Weiß“ in Spröda bei Leipzig.

Was übrigens Greiz und sein Sommerpalais betrifft – da gibt es noch dieses Jahr im August wieder eine Karikaturen-Triennale. Tatsächlich – und genauso ernst gemeint wie „Meister des Kupferstichs“.


Staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz: Gerenot Richter.
Meister des Kupferstichs.

Abbildung: Gerenot Richter, WV II-072 Fossile Braunkohle, 1977, Radierung, 24 x 32 cm

Text: Harald Kretzschmar


Ausstellungskritik von Peter H. Feist

„Sie haben mich mit einem Meisterwerk beschenkt, das seinesgleichen in der heutigen Grafik lange suchen wird!“ Der große, alte Bildhauer und Grafiker Gerhard Marcks formulierte gewiss keine unbedachte Schmeichelei, als er 1979 für eine Hommage dankte, die Gerenot Richter ihm über die deutsch-deutsche Grenze gesandt hatte. Dabei standen die Höhepunkte in Richters Schaffen noch bevor.

Der gebürtige Dresdner, der seit den frühen fünfziger Jahren in Berlin lebte, wäre am 5. Dezember siebzig geworden. Aber das Blatt „Herbstlicht“, das er 1989 seiner Frau widmete, hatte er schon mit letzter Kraft gedruckt. Am 5. Januar 1991 erlag er dem Krebs. Es waren nur anderthalb Jahrzehnte gewesen, in denen er das Eigentliche und Eigene seines staunenswerten Lebenswerk schuf. Dabei entstand dieses, äußerlich betrachtet, nur nebenbei. Richter bildete Kunsterzieher an der Berliner Humboldt-Universität aus und erfüllte diese Aufgabe sorgfältig und verantwortungsbewusst wie die zeitraubendenden Leitungsfunktionen, die ihm abverlangt wurden. Extern holte der promovierte Pädagoge das Malerdiplom an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee nach. Seine wahren Lehrer suchter er sich aber mit den eigenen Augen in den Werken bewunderter Vorgänger.


In den 1960er Jahren zeigte seine Kunst noch kaum auffällige Eigenschaften. Seit den frühen 1970er Jahren ging er dann seinen Einzelgängerweg. Dabei war er in seinem den Menschen zugewandten, offenen Wesen und jugendlich wirkenden Habitus das ganze Gegenteil eines sich abkapselnden Egozentrikers. Er ließ sich nur nicht abbringen von dem, womit er Gutes tun wollte. Er bewegte sich nicht in einer Strömung, ein Kunsterzieher hatte es auch nicht ganz leicht bei den „freien“ Künstlerkollegen, aber seine Gestaltungsweise sprach Kunsterwartungen an, die sich seit den 1970er Jahren nachdrücklich ausbreiteten. So wuchs ihm bei bemerkenswert vielen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, seit 1970 auch im Ausland, seit 1980 im Westen Deutschlands, immer mehr Aufmerksamkeit zu.


Der Verein Berliner Grafikfreunde INVENTOR gibt in diesen Tagen Gelegenheit zu einer anrührenden Wiederbegegnung mit seinen stillen, hintergründigen Arbeiten.

Kultur, Wachstum und Absterben oder jähe Zerstörung …

Für Richter wurden die Radierung und andere Verfahren des Tiefdrucks zum einzigen Medium, das seinen Bildvorstellungen Genüge tat. In winzigen Blättern von 4 x 5 cm, gleichsam ästhetischen Mikrochips, brachte er ganze Landschaften unter; große Blätter von 50 x 65 cm füllte er mit Wunderwelten präzise gezeichneter Dinge, feinster Helligkeitsstufen und ins Unendliche strömender Raumtiefen. Natur und Menschenwerk, sprich Kultur, Wachstum und Absterben oder jähe Zerstörung, Gegenwart, Geschichte und Zukunftssorgen waren die gedanklichen Pole, in deren Spannungsfeldern sich seine Bildfantasie entzündete. Er lässt uns an seinem Staunen über den Formenreichtum von Steinen, Bäumen, Blumen und Häusern teilhaben und entdeckt uns, dass die Dinge nicht nur sie selbst sind, sondern auch Gleichnisse werden können. Die bizarren Folgen von Natur- oder Kriegskatastrophen („Nach dem Sturm, 1980-1981); „Berliner Ruinen (1985 bis 1987) waren nicht bloß ein Reiz für Künstleraugen. Sie lösten Gedanken- und Assoziationsketten aus. Viele Künstler beschwören mit Motivzitaten einen Kulturwert, damit er nicht verloren gehe. Gerenot Richter versteckte sie auf einzigartige Weise in „Weltlandschaften“ von überbordender, wuchernder Fülle. Er bewunderte Dürer und Altdorfer, Bruegel, Herkules Segher, Caspar David Friedrich wie Klimt und Magritte.

Die „Strandläufer“ von 1976 bis 1981 hatten noch einen wagemutigen Schwung ins verlockende Weite und Helle. Vom windumwehten Torso einer vorwärtsschreitenden griechischen Göttin fliegt eine Möwe auf. Das Beunruhigende der dunklen Wolken, der erkalteten Gestirne in anderen Blättern begreifen wir im Rückblick besser als damals. In den großen Radierungen von 1983 bis 1988, mehrere als „Gleichnis“ betitelt, in denen sich Richters Schaffen in einem mächtigen Aufschwung vollenden musste, sehen wir jetzt, wie das Dunkle übermächtig wurde. Immer krausere, gespenstisch anmutende Vegetation wächst die Figurenzitate zu, Bäume brechen, Parks verwildern in ahnungsvoller Trauer. Es waren Bilder auf das Ende zu.

Im Individuellen das Zeitgeschehen, im Ausschnitt einen Weltzusammenhang erfassbar machen, war Schaffensmaxime dieses Romantikers mit scharfem Verstand. Indem er sie verwirklichte, hinterließ er einen Beitrag zur Kunstgeschichte von außergewöhnlichem Rang und symptomatischer Gültigkeit.

Autor: Prof. Dr. Peter H. Feist
erstmals veröffentlich in: „Neues Deutschland“ vom 03.12.1996
(Abschrift des Zeitungsartikels für diverse Veröffentlichungen)


Abbildung:
Gerenot Richter, WV II-304 Herbstlicht (für Ingeborg),
1989, Radierung und Aquatinta, 50 x 65 cm

Die Ausstellung wurden an zwei Orten gezeigt:
Studio Bildende Kunst, Berlin-Lichtenberg, John-Sieg-Straße 13 (bis 15.12.1996);
Bürgerhaus Glienicke / Nordbahn, Moskauer Straße (bis 21.12.1996)


Roland Berger über Gerenot Richter

„Bei der stillen Betrachtung der Grafiken von Gerenot Richter, ertappe ich mich, dass ich mal bei diesem, mal bei jenem Blatt länger verweile. Der Blick wird von einer feinnervig faszinierenden Bildwelt eingefangen, wandert in einer grafischen Urnatur, die man meint, so noch nicht wahrgenommen zu haben. Das stete Erstaunen über diese Üppigkeit an Geschautem und Erfundenem gipfelt in einem Wort ersten und naiven Reagierens: Merkwürdig!

Greifen wir auf dieses Wort zurück, so sprechen wir es, meist an uns selbst gerichtet, mit einer gewissen Verzögerung aus und verleihen damit unserer einsetzenden Nachdenklichkeit Ausdruck, über die wir in diesem Moment selbst verwundert sind.

Die Grafiken von Gerenot Richter konfrontieren den Betrachter in vielerlei Hinsicht mit Merkwürdigkeiten. Bei Bildern, die auf den ersten Blick beiläufig erscheinen, verfängt sich unser Sehen sofort in der eigenartigen Ausdrucksweise des Künstlers. Mit dem dichten Heranrücken an die sichtbare Wirklichkeit, dem scheinbar klaren und akribischen Darstellen gibt uns Richter eine Markierung besonderer Art: Er zeigt uns, was er das Merkens für würdig befunden hat. Er ist unterwegs gewesen für uns, hat in Abgeschiedenheit etwas entdeckt und für uns aufbereitet, ein Hieronymus im Gehäuse. Am Ergebnis lässt er uns teilhaben. Die Bildsprache Richters mit all ihrem grafischen Reichtum an Strukturen und Schraffuren, den Wucherungen und Durchbrüchen in den verschiedenen Raumebenen, den Verschiebungen der Perspektiven, der Detailversessenheit und verblüffenden Authentizität, alles zielt auf ein demutvolles Anschauen der Welt, konstatierende Akzeptanz und freudig-fleißig Huldigung in einem.

Geheimnisse in Richters Bildwelt

Spätestens hier, bei der Wahrnehmung einer solchen Fülle, spürt der Betrachter, dass in dieser Bildwelt ein Geheimnis stecken muss, ein rätselhafter Wert, vom Künstler für würdig befunden uns auf ein seltsam und auf seltsame verwunderliche, vielleicht sogar märchenhaft verwunschene Weise mitgeteilt zu werden. Vielleicht steckt der Wert sogar im Suchen …, wer weiß.

Etwas zu merken, sprich zu entdecken, und ihm den Rahmen eines Wertes zu geben, eben das Hervorzaubern von Merkwürdigkeiten, hat die Gabe genauen Beobachten, vertieften Betrachtens und besinnenden Denkens zur Voraussetzung. Diese Sensibilität des Sehens und Fühlens besaß Richter in hohem gerade Punkt der Vergleich zwischen den Zeichnungen und den Druckgrafiken belegt nicht nur die Variabilität in den Bildfindungen, sondern ebenso die Verdichtung der Bildideen. Da sind auch didaktische Momente spürbar, denn als einfühlsamer und konsequenter Pädagoge nutzte Richter seine Mittel bewusst zur behutsamen Führung des Betrachters, und er wusste sicher auch um die Möglichkeiten der sanften Verfügung, der sich der Kunstfreund gern hingibt, wenn er in handwerkliche Perfektion und geistvollen Hintergrund schwelgerisch eintauchen darf.

In diesem Zusammenhang ist auf die Besonderheit der häufigen Bildzitate bei Richter zu verweisen. In den wunderlich entrückten, rauschhaft knospende oder katastrophal vergehende Natur zeigenden Bildern, sind in Durchblicken, Höhlungen oder Inseln plötzlich Entdeckungen anderer Art auszumachen: Wir erkennen und begrüßen mehr oder weniger bekannte Figuren als kunstgeschichtliches Zitat. Der Bogen spannt sich von Dürer bis Picasso. Die Zitate sind Verbeugungen und versteckte Hommagen. Gemeinsam ist den 'Gästen' dass ihre Metaphorik gewahrt bleibt und in der neuen Umgebung weiterreichende Bedeutung, manchmal auch mit aktuellem Bezug, erhält. Dieses Zitieren längs durch die Kunstgeschichte verweist auf Traditionslinien, in deren künstlerischen und ethischen Anspruch sich Richter selbst sah und verpflichtet fühlte. Er verwob die Figurationen seinem Hauptthema, der Dialektik des Werdens und Vergehens. Die intellektuellen Zugaben haben manchmal etwas Schemenhaftes, fabulierend Spielerisches, ohne dass der Grundzug des melodiös Melancholischen, des skurril Dionysischen oder des zumeist staunend Hymnischen infrage gestellt wäre. Die Lobpreisung des Lebens und der Natur vollzog Richter mit naiver Ehrfurcht und humaner Verantwortung.

Angesichts der allgemeinen Zivilisationskrise sind die Bilder Gerenot Richters mit eigenwilliger Ästhetik vermittelte Signale, deren Ethos des Bewahrens und der Besinnung auf Werte, die zum Reichtum des menschlichen Daseins gehören, merkwürdig und vernünftig erscheint.“

Roland Berger in: Gerenot Richter. Katalog zur Ausstellung Studio Bildende Kunst Berlin Lichtenberg und Bürgerhaus Glienicke / Nordbahn, 1996

Herausgeber: INVENTOR e.V., Redaktion Helmut Müller, Gestaltung Marc Berger

Abb. aus dem Katalog: WV II-127 Merkwürdige Gestalten (Äußerst merkwürdig), Radierung und Aquatinta, 1980


Gerenot Richter: Radierungen – Zeichnungen – Aquarelle

Berlin-Lichtenberg | Studio Bildende Kunst

Ausstellung vom 14. November bis 5. Dezember 1996


Tiefdrucke

II-041 Rügen '74 (terra mater) *
II-042 Rügen '74 (Wissower Ufer)
II-043 Rügen '74 (Muglitz)
II-044 Rügen '74 (Freetz) *
II-045 Rügen '74 (Bakenberg)
II-060 Am Ball bleiben – Putbus
II-068 Rügen '74 (Putbus)
II-086 Usadel II *
II-092 Unter hohem Himmel *
II-139 Badende
II-278 Feldweg
II-287 Waldsaum
II-301 Schloßruine Muskau
II-302 Strandläufer
II-303 Bautzen

Folge Zwölf Torsi
im Zusammendruck von 12 Platten
II 172 bis II 176 und II 179 bis II 185

Berlinansichten
II-194 Spreeathen
II-240 Spreeathen II
II-083 Museumsinsel
II-214 Die Uhr im Lesesaal *
II-223 Berliner Mahnmal (Synagoge) *
II-242 Drei Grazien (Friedrichstadtpalast) *
II-244 Artem non odit nisi ignarus (Neues Museum) *

III 261 Berliner Dom (Die neue Friedrichsbrücke)

Handzeichnungen und farbige Arbeiten außer WV

NV III o.T. (Baustelle am Marx-Engels-Platz), Filzstift blau, ca. 1967
o.T. (Lausitzer Landschaft), Gouache auf mit Beize grundiertem Papier Park Hohenrode, Bleistift, 1980
III Schloß Burgk, Bleistift, Graphit, 1981

Putbus (Am Ball bleiben), Aquarell (nicht im Werkverzeichnis)
NV III Putbus (Am Ball bleiben), Bleistift
sowie weitere acht Aquarelle und Gouachen, 2. Hälfte 60er Jahre

Leihgeber: Ingeborg Richter, Roland Berger, Volkhard Böhm, Michael Drewelow, Helmut Müller